Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
als Orakel von Delphi wärest du unübertrefflich …«
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn du den Dolch …?«, fragte er vorsichtig, und ich steckte die Klinge zurück in meinen Ärmel. Seufzend nahm er die erhobenen Arme herunter: »Briçonnet war im Auftrag von König Charles bei mir. Inoffiziell und inkognito. Charles will mit der Banca Medici ein Geschäft abschließen, das uns aus der finanziellen Misere retten, wenn nicht sogar vor dem Untergang bewahren könnte.« Lionetto holte tief Luft. »Die Banca Medici soll den französischen Italienfeldzug finanzieren.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Bitte, was sollen wir tun?«
»Wir sollen in den bevorstehenden Sieg Frankreichs in Neapel investieren. Das ist, als ob wir … wie soll ich dir das erklären? … als ob wir Geschäftsanteile am Unternehmen Frankreich kaufen würden, mit Zinsen und garantierter Gewinnbeteiligung …«
»Ich nenne es Verrat an Italien!«, fuhr ich ihm in die Parade. »Ich nenne es einen Treubruch gegenüber der Republik Florenz, Verrat an den Ideen von Freiheit und Demokratie! Und es ist ehrlos gegenüber Lorenzo, der sein Leben lang für den Frieden in Italien gearbeitet hat, für ein Gleichgewicht der Mächte!«
»Wenn Charles in Italien einmarschiert – mit oder ohne den Kredit der Banca Medici –, wird Italien wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, comme ça !« Lionetto schnipste mit den Fingern. »Das Gleichgewicht der Mächte ist gestört, seit in Neapel ein Aragón auf dem Thron sitzt und seit sich in Rom ein Borgia im Bett Petri amüsiert. Und seit Piero sich aufführt, als sei er der König von Italien. Caterina, bitte hör mir zu!
Wenn wir Charles’ Feldzug nicht finanzieren, wird er die Filiale Lyon schließen und das nicht unerhebliche Vermögen konfiszieren. Das kostet ihn nicht mehr als ein Lächeln. Auch Briçonnet wird lächeln, denn unser Geld wird ihm im nächsten Konklave ein paar entscheidende Stimmen sichern. Die Schließung der Filiale wird dich nicht weiter interessieren, denn es sind ja meine Geschäftsanteile und nicht deine. Lass mich ausreden, bitte!
Mit der Schließung der Filiale Lyon werden alle anderen Niederlassungen finanzielle Probleme bekommen: Sevilla, London, Brüssel, Mailand, Rom. König Henry in London könnte auf dieselbe Idee kommen. Der Rosenkrieg der Fürstenhäuser Lancaster und York hat den englischen Staatshaushalt ruiniert. Ludovico il Moro hat seit Jahren keine Zinsen bezahlt und nimmt sowieso ständig neue Kredite auf, um die Mitgift für Bianca an Maximilian zahlen zu können. Und Papst Alexander wird mit unserem Geld einen Kreuzzug gegen Charles zur Rettung der Kirche finanzieren.
Wenn wir nicht in diesen Krieg investieren, Caterina, wird die Banca Medici bankrott sein, c’est certain. Pieros Macht in Florenz beruht nicht auf seinen überragenden Fähigkeiten als Regent, sondern auf unserem Vermögen. Wenn die Bank geschlossen wird, ist der Sturz der Medici nicht mehr aufzuhalten. Piero wird von seinem hohen Marmorsockel fallen und uns alle mitreißen.«
Lionetto hatte Recht in seiner Einschätzung der florentinischen Machtverhältnisse. Er war ein begnadeter Geschäftsmann, der Zinssätze verhandelte, bei denen anderen Bankiers schon schwindelig wurde, der – so erzählte man anerkennend hinter vorgehaltener Hand – nur mit Feder und Tintenfass auf seinem Schreibtisch noch Geld verdienen konnte. Aber an seiner Wortwahl musste Lionetto noch arbeiten!
»In den Krieg investieren ?«, zweifelte ich.
»Charles hat von Il Moro bereits zweihunderttausend Dukaten erhalten. Du kannst dir ausrechnen, woher Ludovico das Geld hat: von der Banca Medici in Mailand. Der König hat bei der Filiale Lyon seine Kronjuwelen verpfändet. Sie liegen in meinem Tesoro. Bitte sei vernünftig, Caterina! Sprich mit Charles! Erzbischof Briçonnet hat mir versprochen, dass er dich empfangen wird.«
» Mich? Ich dachte, Francesco Sassetti führt als Generaldirektor die Geschäfte des Medici-Imperiums …«
»Sassetti ist tot. Er starb im August an der Malaria.«
»Das wusste ich nicht«, flüsterte ich betroffen. Sassetti starb, während ich mich in Rom amüsierte! »Wer führt die Bank jetzt?«
»Niemand.«
»Ich meine: Wer trifft die Entscheidungen?«
»Du«, hoffte Lionetto. »Piero tut es jedenfalls nicht.«
Ich schloss die Augen und ließ mich auf einen Stuhl sinken.
»Charles wollte nicht mit seinem cher cousin et ami Piero reden, sondern mit dir«, erinnerte mich
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