Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Kammerdienerin den unmissverständlichen Befehl gegeben, meine Reisetruhen nicht auszupacken, und hatte mich ihr gegenüber auch nicht mit Erklärungen aufgehalten, ob ich denn sofort wieder abreisen wollte. Am liebsten hätte ich es getan! Meine Unberechenbarkeit war bei der Dienerschaft im Palazzo bekannt und bei meinen Leibwachen gefürchtet. Mit anderen Worten: Mir war alles zuzutrauen. Nachts allein durch Florenz zu irren. Inkog-nito abzureisen – nach Pisa, nach Siena, nach Rom, nach Sevilla oder ans Ende der Welt –, ohne irgendjemanden über meine Pläne in Kenntnis zu setzen: Ich hatte es schon so oft getan!
Niemand würde mich hier unten in den Kellergewölben hören, wenn ich gegen die Tür meines Laboratoriums trommelte. Niemand würde mich befreien. Genauso wenig würde mir irgendjemand eine wärmende Decke bringen, ein Kissen, etwas zu essen oder zu trinken oder eine Kerze. Oder Nachrichten, was draußen vor sich ging … Ich war allein. Verzweifelt.
Der Verrat, der das Medici-Imperium vernichtete – dieser Vorwurf schmerzte! Nicht, weil er mir im blinden Hass entgegengeschmettert wurde, nicht, weil er nicht wahr wäre, sondern weil er den Zweifel in mir weckte. Hatte ich mit meinen Verhandlungen mit König Charles, mit Erzbischof Briçonnet, mit Kardinal della Rovere nicht letztlich dasselbe getan wie Piero? Er hatte nur ein paar tragende Säulen verschoben: Florenz, Mailand und Neapel, was in Rom, Urbino und Venedig ein diplomatisches Beben hervorrief. Aber ich hatte die französischen Ideen einer Vorherrschaft in Europa unterstützt und damit das empfindliche Fundament Italiens untergraben und zum Einsturz gebracht …
Wie lange würde ich überleben?
Obwohl ich mein Laboratorium in den befestigten Kellergewölben des Palazzo eingerichtet hatte, war es doch einigermaßen komfortabel – immerhin hielt ich mich täglich mehrere Stunden hier auf, nahm sogar hin und wieder meine Mahlzeiten hier ein.
Es war genug Wasser da, um wochenlang überleben zu können. Das offene Fass in einer Ecke des Raumes war randvoll. Wasser, viel Wasser, ist für einen Alchemisten überlebensnotwendig, um ein brennendes Laboratorium zu löschen. Nun, dieses Wasser würde meinen Durst löschen. Zu essen gab es dagegen nichts. Ich würde fasten müssen – es war nicht schlimm, dachte ich trotzig, wenn ich in den nächsten Tagen an Gewicht verlor, denn ich hatte in Paris ein wenig zugenommen.
Mein Vorrat an Kerzen würde nicht lange reichen. Ich musste sparsam sein. Ich würde nur zum Arbeiten ein Licht entzünden, versprach ich mir selbst. Holz, um den Athanor zu schüren? Es war nicht genug vorhanden, um es für mehrere Tage warm zu haben. Außerdem würde das Feuer zu viel Luft verbrauchen. Das Laboratorium hatte kein Fenster, und die Eichenholztür war verschlossen – ich musste also auf Wärme verzichten, um nicht in einigen Tagen zu ersticken.
Im Licht einer flackernden Kerze versuchte ich, mit meinem zweiten Dolch das Schloss der schweren Tür zu öffnen, es mit der scharfen Klinge aus dem Holz herauszukratzen, die Angeln aufzuhebeln. Erfolglos: Die Klinge brach nach nur einer Stunde ab.
Ich war gefangen in meinem eigenen Laboratorium!
Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg. Ich musste die Tür aufbrechen – aber womit? Der Schürhaken verbog, als ich versuchte, die schwere Tür aufzuhebeln.
Ich konnte Feuer legen, die Tür verbrennen. Doch ich würde ersticken, wenn die Eichenholztür brannte – wenn nicht vorher schon die brennbaren Flüssigkeiten wie das Griechische Feuer im Laboratorium entflammt wären.
Und dann kam mir die wahnwitzige Idee, die Tür zu sprengen. In meinem Notizbuch fand ich die Zusammensetzung des explosiven Pulvers: Schwefel, Salpeter und Kohle. Aber ich kannte das Mischungsverhältnis nicht, um eine Explosion hervorzurufen, mit der ich die Tür aufsprengen konnte, ohne den Palazzo in die Luft zu jagen, ohne durch die herumfliegenden Splitter zerplatzter Glaskolben getötet zu werden, ohne durch die Druckwelle der Explosion lebensgefährlich verletzt zu werden. Und es gab noch ein Problem: Ich hatte zwar Holz, aber keine Kohle.
Noch in derselben Nacht begann ich mit der Herstellung von Holzkohle. Es klingt so einfach, aber die Probleme schienen unüberwindlich: Üblicherweise wird getrocknetes Holz mit einer luftdichten und feuerfesten Schicht aus Lehmerde bedeckt und entzündet, um es zu verkohlen. Durch die Steuerung der Luftzufuhr kann verhindert werden, dass das Glühen
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