Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Herz zerrissen. Er war so selbstvergessen gewesen, so abwesend …
Als ich in den Hof des Palazzo stürmte, kam mir Piero mit seinem Gefolge entgegen. Beinahe hätte ich ihn umgerannt.
»Wo warst du, Caterina? Ich habe dich gesucht«, warf er mir vor.
Ich würdigte ihn keines Blickes. Hatte er sich seit Angelos Auszug aus dem Palazzo jemals um Lorenzos Freund gekümmert? Ich wollte an meinem Bruder vorbeigehen, doch er hielt mich am Ärmel fest: »Ich habe etwas mit dir zu besprechen. Allein.«
Seine Drohung überhörte ich in meinem Schmerz um Angelos Tod und meiner Besorgnis über Charles’ Vormarsch. Ich ignorierte Piero, der sein Gefolge mit einer ungeduldigen Geste entließ, und stieg die Treppe hinunter zu meinem Laboratorium. Dass er mir folgte, bemerkte ich nicht, weil ich es nicht bemerken wollte. Sollte er doch ausreiten und sich mit seinen Freunden vergnügen, sollte er den unbesiegbaren Herrn von Florenz spielen!
»Caterina! Ich spreche mit dir«, erinnerte er mich ungehalten. »Würdest du gefälligst aufhören, mich wie Lorenzos Schatten zu behandeln?«
»Wenn du aufhörst, dich wie ein Schatten deiner selbst zu verhalten, dann rede ich mit dir!«, schrie ich ihn an und öffnete die Tür des Laboratoriums.
Er betrat hinter mir den Raum, bevor ich ihm die Tür vor der Nase zuschlagen konnte. Ich fuhr herum, als er das Schloss hinter sich verriegelte.
»So, und nun wollen wir uns endlich ungestört unterhalten«, drohte er mir. »In den letzten Wochen bist du mir ständig ausgewichen. Du hast an keiner gemeinsamen Mahlzeit teilgenommen und dich in deinem Laboratorium eingeschlossen. Du bist doch sonst nicht so ängstlich, Caterina!«
»Lass mich in Ruhe!«, schrie ich ihn an. Meine Stimme schwankte – ich hatte wirklich Angst. Was, zum Teufel, wollte er von mir?
»Du wirst in den nächsten Tagen noch genug Ruhe haben – so viel, dass du dich nach unserem Gespräch zurücksehnen wirst«, versprach er mir. »Ich will wissen, wo du warst.«
»In San Marco – Angelo ist tot«, warf ich ihm vor die Füße.
Falls Angelos Tod meinen Bruder in den Tiefen seiner Seele erschütterte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Ich will nicht wissen, wen du alles in den letzten Wochen in Florenz besucht hast, Caterina. Glaubst du, ich weiß nicht, wie du hinter meinem Rücken intrigierst?«
Als er einen Schritt auf mich zukam, zuckte meine Hand zu dem Dolch in meinem Ärmel. Ich wich vor ihm zurück.
»Ich will wissen, wo du warst, als du angeblich nach Sevilla gereist bist«, brüllte er mich an. Die Zweifel schürten das Feuer seiner Wut – die Zweifel, aber nicht die Gewissheit!
Piero ahnte nicht, dass ich in Paris gewesen war, triumphierte ich – als ob mir das in diesem Augenblick etwas genützt hätte. Er wusste nichts von dem geheimen Bankenkonsortium, das den französischen Feldzug finanzierte, nichts von dem unentwirrbaren Netzwerk von Konten, über die die Fiorini unauffällig nach Genua transferiert worden waren. Er hatte keine Ahnung …
»Wo warst du? In Valencia bei Herzog Juan Borgia? Oder in Barcelona bei König Fernando? Was, zum Teufel, hast du in Spanien getrieben?«
Ich zog den Dolch und richtete ihn gegen meinen eigenen Bruder.
Piero lachte verächtlich. »Steck dein Spielzeug ein, Caterina! Du könntest dir selbst schaden, nicht nur, indem du dich oder mich damit verletzt. Ein Angriff auf den Herrn von Florenz könnte vor der Signoria als Hochverrat an der Republik ausgelegt werden. Deine Hintertreppenrevolution ist beendet!« Piero entwand mir den Dolch und steckte ihn in seinen Gürtel. »Du hast mit deinen Intrigen Florenz auf dem Gewissen! Mit deinem furchtbaren Ehrgeiz, mich zu stürzen, hast du die Macht der Medici zerstört! Du hast das Imperium zerschlagen, das drei Generationen Medici aufgebaut haben. Ich werde jetzt zu Charles reiten, um zu retten, was noch zu retten ist.« Er griff hinter sich und öffnete den Riegel der Tür. »Denk in Ruhe darüber nach, während du auf meine Rückkehr wartest, geliebte Schwester! Die Gedanken an das, was du zerstört hast, werden deine letzten sein!«
Das Zuschlagen der Tür und das Knirschen des Schlüssels im Schloss hatte etwas beängstigend Endgültiges.
Wann wird meine Familie anfangen, mich zu suchen?, fragte ich mich, als ich mich erschöpft auf eine meiner Reisetruhen neben der Tür des Laboratoriums sinken ließ – Ginevra hatte sie hierher schaffen lassen. Würden sie mich überhaupt vermissen? Ich hatte meiner
Weitere Kostenlose Bücher