Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Umarmung im Hof sah, kam er zu uns herüber. »Ich danke Gott, dass du zurückgekommen bist, Caterina! Gerade noch rechtzeitig. Es geht los!«
»Greifen die Franzosen an?«, fragte ich und deutete auf die Waffe in Giulios Hand. »Die Domglocken läuten Sturm …«
»Nein, Caterina: Es herrscht Aufruhr in Florenz. Piero ist vor einer Stunde von der Signoria zurückgekehrt. Der Rat hat ihn abgesetzt«, sagte Giulio. »Auf dem Rückweg von der Signoria ist er mit Steinen beworfen worden. Hör doch: Auf der Via Larga rufen sie ›Popolo e Libertà‹ !«
»Volk und Freiheit! Der Schlachtruf der Republikaner«, ächzte Gianni. »Das klingt nach Revolution.«
»Es ist nur eine Frage von Stunden, bevor die Florentiner den Palazzo stürmen«, erwiderte Giulio. »Die Dienerschaft ist bereits geflohen – einer nach dem anderen hat sich durch das Gartentor hinausgeschlichen. Wir sind allein. Und wir sind zu wenige, als dass wir uns gegen den aufgebrachten Pöbel auf der Straße verteidigen könnten. Es wird Zeit, dass wir verschwinden!«
»Wohin?«, fragte ich, entsetzt über die Vorstellung, den Palazzo Medici mit Feuer und Schwert gegen das Volk verteidigen zu müssen. »Nach San Marco? Wird Savonarola uns helfen …?«
»Nein, er ist nicht dort«, zerbrach Giulio meine Hoffnungen. »Vor drei Tagen wurde eine neue Abordnung der Signoria unter der Führung von Fra Girolamo zu König Charles geschickt, um Florenz zu retten. Die Signori haben Savonarola aufgefordert, die Verantwortung zu übernehmen und die von ihm prophezeite Sintflut von Florenz abzuwenden. Er ist zurück aus Pisa, aber er ist nicht in San Marco. Ich war vorhin dort, als Piero zurückkehrte. Wir können nicht in Florenz bleiben – wir müssen nach Urbino!«
»Wir fliehen nicht«, entschied Gianni. »Vor der Gewalt weichen wir keinen Schritt zurück. Niemals! Du bringst Caterina zu den anderen …«
Wie ruhig er war, wie beherrscht!
»Was hast du vor?«, fragte ich meinen Bruder, der zu allem entschlossen schien.
»Ich gehe hinaus auf die Straße.«
»Das ist Wahnsinn!«, rief ich und hielt ihn am Ärmel fest.
»Es ist Wahnsinn zu fliehen, und es ist Wahnsinn zu bleiben.« Gianni riss sich von mir los, aber als er meinen Blick sah, hielt er inne. »In unserer Familie gibt es nur einen Verrückten, Caterina. Mein unzurechnungsfähiger Bruder sitzt oben in Lorenzos Audienzzimmer und ertrinkt fast in den Tränen des Selbstmitleids!« Gianni schnaufte verächtlich. »Ich weiß genau, was ich tue. Sie werden mir nichts antun«, tröstete er mich und küsste mich auf die Wange. Dann stürmte er über den Hof zum Gittertor unter dem Torbogen.
Als seine Purpursoutane in der tobenden Menge auf der Via Larga verschwand, wollte ich ihm nachlaufen, doch Giulio hielt mich fest. »Lass ihn, Caterina. Du kannst ihm nicht helfen. Du bist ja völlig erschöpft! Komm jetzt, ich bringe dich nach oben.«
Giulio schleppte mich die Treppe hinauf in Lorenzos Audienzraum. Ich fühlte mich zu schwach, um ihm und seinem eisernen Willen ernsthaft Widerstand zu leisten. Ich fühlte mich zu schwach, um die Stufen aus eigener Kraft hinaufzusteigen.
Als Giulio und ich den Audienzsaal betraten, saß Piero hinter Lorenzos Schreibtisch, das Gesicht in beide Hände gestützt. Giuliano und Michelangelo standen am offenen Fenster und sahen hinab auf die Via Larga, wo es, dem Geschrei zufolge, zu ersten Tumulten kam.
Als Piero seine Selbstbetrachtung aufgab und aufsah, wurde er blass. »Du lebst?«, flüsterte er fassungslos.
Ohne meinen Bruder auch nur eines Blickes zu würdigen, den er mit viel Fantasie als ein Lächeln der Vergebung auslegen konnte, eilte ich ans Fenster.
Unter mir tobte das Chaos. Eine wogende Menge bewaffneter Florentiner schob sich durch die Via Larga und riss alles mit sich, was sich ihr in den Weg stellte. Waffen wurden geschwungen, Rufe wurden laut: »Komm herunter, Magnifico Piero, und verantworte dich!« – » Popolo e Libertà! Volk und Freiheit!« – »Es lebe die Republik! Tod dem Tyrannen!«
Wo ist Gianni?, fragte ich mich betroffen. Er hatte sich unbewaffnet in diesen brodelnden Hexenkessel der Gefühle gestürzt. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, um ihn in der hin und her wogenden Menge zu suchen.
Dann sah ich ihn, inmitten eines Strudels aus Menschenleibern an der Loggetta an der Ecke der Via Larga. Gianni war auf die Steinbank gestiegen und sprach zur Menge. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen. Worte flogen ihm entgegen, Fäuste
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