Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
zurückerobern sollte.
Dann begannen die gewaltigen Glocken des Doms zu läuten. Ihr Dröhnen konnte ich sogar in meinem unterirdischen Verlies hören.
Angst ergriff mich: War das Läuten das Zeichen, dass die Franzosen Florenz angriffen? Stand Charles schon vor den Toren der Stadt? Ich musste zu ihm: Vielleicht war Florenz noch zu retten!
Ich dachte an Nicolas Flamels Worte, »que l’alchimie est très dangereuse« . Das war sie: lebensgefährlich! Aber ich musste es wagen! Jetzt oder nie! Ich hatte keine Zeit für weitere Experimente. Als ich schließlich die hastig gedrehte Lunte aus zerrissenen Stoffstreifen entzündete, flüsterte ich:
»Phoenix muss brennen, um aus seiner Asche aufzuerstehen.«
Kapitel 9
Auferstanden aus der Asche
W enige Augenblicke später explodierte der mit dem Sprengstoff gefüllte Alambic. Und in einem Wirbel aus Feuer und Staub flogen die Splitter der Tür durch den Raum.
Dass in diesem Augenblick noch ein anderes Laboratorium explodierte, kann ich heute, so viele Jahre nach diesen Ereignissen, nicht einfach für einen tragischen Zufall halten oder für eine geheimnisvolle Verbindung von zwei Schicksalen: Denn er starb und ich überlebte und erhob mich aus der Asche meiner Vergangenheit. Nein, es war göttliche Vorsehung – auch wenn ich lange gebraucht habe, den tieferen Sinn zu begreifen: Es war ein Akt Seiner Gnade, uns beide nach Jahren des Ringens mit Gott und uns selbst aus einer Bestimmung zu erlösen, mit der wir uns niemals abfinden konnten …
Ich presste die Tasche mit meinem Schmuck, dem purpurfarbenen Talar und meinem Notizbuch an mich und rannte, humpelte, stolperte blind vom Staub und im dichten Rauch der Explosion hustend die Treppe hinauf. Beinahe wäre ich auf den Stufen gestürzt.
Schwankend stand ich im Hof, musste mich am marmornen Herakles festhalten, der siegessicher sein Schwert in den Himmel stieß. Keuchend rang ich um Luft, nach herrlicher klarer kalter Luft! Meine Knie und Hände zitterten, aber ich war unverletzt. Ich blickte zurück: Das Laboratorium war verwüstet. Eine feine Rauchwolke zog hinter mir die Treppe zum Hof hinauf. Ich atmete erleichtert auf: kein Feuerschein!
Es war niemand da, der die Flammen hätte löschen können. Der Innenhof des Palazzo lag verlassen da. Kein Sekretär stürzte aus dem Raum gegenüber, wo Besucher empfangen wurden, keine Bewaffneten bewachten den Zugang zum ersten Stock. Was war geschehen? Wo waren sie denn alle geblieben?
Obwohl ich von der Explosion noch ganz taub war, hörte ich zwischen dem Dröhnen der Domglocken Rufe von der Straße. Was war dort los? Waren die Franzosen in Florenz einmarschiert? War der Palazzo vielleicht schon geplündert worden?
Als ich Schritte auf der Treppe hörte, fuhr ich herum und griff nach dem Dolch in meinem Stiefel. Es war Gianni. Er rannte mit fliegender Soutane die Treppe zum Hof hinunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Hatte er die Explosion gehört? Die Rufe auf der Via Larga? Als er mich erkannte, blieb er stehen, starrte mich ungläubig an, dann kam er zu mir herüber. »Caterina! Um Gottes willen!« Er fing mich auf, als eine Schwäche mich in die Knie zwang, und umarmte mich. »Wo warst du bloß die ganze Zeit!«
Wie lange war ich lebendig begraben gewesen?, dachte ich verwirrt.
Ich stöhnte, und mein Bruder hielt mich fest, als fürchtete er, ich könnte mich umdrehen und gleich wieder fortgehen. »Wann bist du angekommen?«, fragte er und führte mich in Richtung Treppe.
»Ich …« Was sollte ich ihm sagen? »… eben erst.«
»Gerade noch rechtzeitig!« Gianni sah sich im Hof um, als suchte er jemanden. »Wo ist Herzog Guido?«
Ich sah meinen Bruder verdutzt an. »In Urbino, nehme ich an.«
»Hat er dich nicht nach Florenz begleitet?«, fragte Gianni in das durchdringende Glockengeläut hinein.
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
»Du hättest bei ihm in Urbino bleiben sollen. In Florenz herrscht das Chaos!«
Gianni glaubte, dass ich bei Guido in Urbino gewesen war! Warum auch nicht? Als ich mit ihm nach unserer Flucht aus Mailand in den Palazzo gekommen war, hatte er meine Hand gehalten – um sie zu wärmen, wie ich mir eingeredet hatte. Was lag näher als anzunehmen, ich wäre zu ihm geritten …
Giulio kam die Treppe heruntergestürzt. Er trug nicht die übliche violette Soutane, sondern schwarze Samthosen und ein nur nachlässig geschnürtes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. In der Hand hielt er einen Degen. Als er Gianni und mich in enger
Weitere Kostenlose Bücher