Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Ducale meist in offenem Hemd, engen Hosen und Stiefeln herum, weil es praktischer und bequemer war als ein Kleid mit engem Mieder und langem Rock. Meine Haare waren in dem Jahr seit meinem Aufenthalt als Fra Celestino in San Marco noch nicht wieder lang gewachsen, und man hätte mich ohne weiteres für einen jungen Mann halten können. In einem Haushalt von hübschen jungen Männern, wie Leonardo ihn führte, fiel ich nicht auf. Vielleicht hatte Giacomo Salai, Leonardos Gehilfe, den Brief angenommen, weil er dachte … ja, was? … weil er dachte, dass eine Frau, die sich wie ein Mann kleidete, nicht nur ein Geheimnis hatte, sondern auch einen zweiten Namen … Dieser eifersüchtige kleine Satan spionierte mir nach!
Ich begann Girolamos Brief zu lesen:
Er war gedrückter Stimmung. Sehnsüchtig vermisste er die emotionale Windstille von San Marco, seit der Konvent – wie zuvor der Palazzo Medici – zum Machtzentrum an der Via Larga geworden war und der Sturm der Gefühle direkt in seiner Zelle tobte. Nirgendwo schien er noch Ruhe zu finden, nicht in der Beichte, nicht im Gebet, nicht in der festen Burg seines Glaubens und schon gar nicht in seiner »Fortezza« San Marco.
Er fühlte sich von den unablässigen Angriffen gegen seine Person als dominikanischer Mönch, gegen seinen Charakter und seine notwendigen politischen Entscheidungen an die Wand gedrängt, und er begann zurückzuschlagen und sich gegen die schmerzhaften Verletzungen zu wehren. Er rüstete sich mit einem glänzenden Harnisch aus Pflichten und Verantwortlichkeiten für die Republik, ließ sein Banner der Gottesherrschaft über Florenz im Wind der Geschichte wehen und hielt sich selbst für moralisch unangreifbar. Seine trotzige Haltung – »Wenn die Signori nichts Besseres zu tun haben, als mich zu kritisieren, sollen sie es tun. Ich habe eine Republik zu reformieren« – erinnerte mich an Lorenzo, der sich vier Jahre zuvor mit ähnlichen Worten über den Prior von San Marco erregt hatte.
Unter dem politischen Druck wurde aus dem mahnenden Propheten ein zorniger Krieger Gottes. Girolamo stürmte ungestüm auf jedes Schlachtfeld, ließ sich hitzig auf jedes Wortgefecht ein und verteidigte die Souveränität der Republik Florenz und seine Ideen zur Reform der Kirche mit unbeugsamer Kampfeslust – sogar gegen Papst Alexander, der ihn im Juli 1495 nach Rom befahl.
Der Frater sollte sich vor Seiner Heiligkeit für seine apokalyptischen Prophezeiungen und seine Anmaßung, Florenz als Gottesstaat zu regieren, rechtfertigen. Der »geliebte Sohn« – so nannte ihn das päpstliche Breve – lehnte höflich, aber bestimmt mit einem Hinweis auf seine angegriffene Gesundheit die anstrengende Reise nach Rom ab. Worauf ihm ein fürsorglicher Pontifex – aus Rücksicht auf das Wohlbefinden des Frater in Christo – sehr freundlich, aber nicht weniger nachdrücklich nahe legte, die »Verkündigung von Gottes unerforschlichem Willen« zu unterlassen.
»Alexander erteilt mir Predigtverbot!«, wetterte Girolamo ungehalten in seinem Brief. »Er gebietet mir zu schweigen, bis meine Lehren von einer Kommission aus Kardinälen überprüft sind. Als wäre ich ein von Gott verlassener und jeder tieferen Einsicht unfähiger Ketzer – wie Giovanni, der 1487 von der Inquisition verurteilt wurde! Der Papst will mir das Wort verbieten, weil er Florenz in ein Bündnis gegen Frankreich zwingen will. Für die Einheit Italiens! Um eine erneute Invasion nach Italien abzuwehren und um die Souveränität des Kirchenstaates unter der Herrschaft der Borgia zu garantieren. So ein Unsinn: Alexander will Florenz annektieren. Und ich bin ihm dabei im Weg. Er droht mit meiner Exkommunikation, aber ich werde nicht nach Rom gehen, um als Märtyrer zu sterben. Niemals! Darauf kann er bis zu seiner Heiligsprechung warten!«
Was ist der Name des Menschen?
Ich hatte in den letzten Jahren so oft meinen Namen gewechselt, war Caterina gewesen, Catalina, Cathérine, Carlotta, war Cato, Cosimo und Celestino gewesen, dass es mir nichts ausmachte, es erneut zu tun. Ich hätte nur gern mehr Zeit gehabt, über meinen neuen Namen nachzudenken …
An diesem Nachmittag hatte ich endlich die Separatio erfolgreich abgeschlossen und eilte in Leonardos Wohnung im Westflügel des Palazzo Vecchio, um ihm die freudige Mitteilung zu machen, als ich im Hof überraschend Baldassare Castiglione in die Arme lief. Er wollte ebenfalls zu Leonardo, um ihm eine Nachricht des Herzogs zu überbringen.
Den Talar
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