Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
er, als er ihn umdrehte und die kostbaren Verzierungen am Griff bewunderte. »Er ist schön.«
»Er ist scharf«, entgegnete ich.
Baldassare lachte und ließ ihn durch die Luft wirbeln, um zu spüren, wie er in der Hand lag. »Beherrschst du die Kunst des Krieges, Amazone?«
»Nur die Kunst des Überlebens.«
Von nun an fochten wir jeden Tag. Mir tat die Bewegung im Innenhof des Palazzo nach dem langen Stillsitzen in meinem Laboratorium gut. Auch Baldassare schien es zu genießen, mich zu berühren, um meine Haltung zu korrigieren, meinen Schwertarm zu führen oder meine Schritte zu lenken. Ich wurde beweglicher und kräftiger, und einmal gelang es mir durch einen Trick, ihm den Degen aus der Hand zu schlagen und ihn lachend mit der Waffe zu bedrohen. Furchtlos stürzte er vorwärts, drängte mich gegen eine der Säulen des Hofes und hielt mich fest, sodass ich ihm nicht entkommen konnte. Er stand direkt vor mir, presste seinen vom Kampf erhitzten Körper gegen meinen, und in diesem Augenblick glaubte ich, er würde mich küssen. Aber er ließ mich los und trat zurück.
Ein paar Tage später brachte er zwei Masken mit. »Im Castello wird morgen ein Maskenball stattfinden. Willst du mich begleiten?«, fragte er.
Ich zögerte, nicht nur, weil ich fürchtete, dass Ludovico oder Kardinal Ascanio mich erkennen könnten, sondern vor allem, weil ich nicht wusste, was Baldassare mit dieser Einladung bezweckte. Bisher war unsere Beziehung eine liebevolle Freundschaft gewesen, keine erotische Affäre, trotz der Berührungen während des Fechtens. Er hatte zwar immer wieder seinen Charme an mir ausprobiert, aber bisher hatte ich seinen Verführungskünsten widerstanden. Ein Maskenball im Castello, auf dem ich in einem weit ausgeschnittenen Kleid mit ihm tanzen würde, wäre etwas anderes. Ich fürchtete, dass sich unsere Beziehung verändern könnte.
Er ahnte, was in mir vorging, und zeigte mir die mitgebrachten Masken: Ich sollte als Cassandra von Troja auftreten, mit einem silbernen Harnisch, einem Helm mit rotem Federbusch und einem Schwert. Er wollte Agamemnon von Mykenai sein und ebenfalls eine Rüstung und einen griechischen Helm tragen, der das Gesicht verdeckte. Küsse sind damit ausgeschlossen, dachte ich, und willigte schließlich ein, ihn ins Castello Sforzesco zu begleiten.
Und eigentlich war ich ihm dankbar, dass er mich zu dieser Entscheidung gedrängt hatte, denn ich amüsierte mich nicht nur mit Baldassare bei einem hervorragenden mehrgängigen Abendessen mit einem köstlichen Wein, bei Musik und Tanz, bei witzigen Spielen, unterhaltsamen Theateraufführungen und einem Feuerwerk, sondern vor allem über Ludovicos und Ascanios immer wieder zu mir herüberirrende Blicke, die zu erraten versuchten, wer sich hinter der Maske der Cassandra verbarg.
Anfang März 1496 kam Baldassare missgelaunt in mein Laboratorium. In der Hand hielt er einen Brief.
»Für dich«, erklärte er knapp, gab ihn mir aber nicht. »Leonardos Faktotum Giacomo hat ihn mir eben in die Hand gedrückt. Dieser Brief sei vorhin für dich abgegeben worden. Ob ich ihn dir geben würde – dann könnte er sich den Weg sparen.«
Es war eine unglaubliche Frechheit von Giacomo, Signor Castiglione einen Brief in die Hand zu drücken, damit er ihn mir gab. Aber war das der einzige Grund für Baldassares schlechte Laune? Wieso entledigte er sich nicht einfach seines Auftrages und gab mir den Brief?
Baldassare ließ sich auf einen Stuhl fallen und drehte das Pergament in der Hand, als wüsste er nicht, was er damit anfangen sollte. Was verstörte ihn so?
»Ich würde gern die Wahrheit erfahren, Cassandra: Wer ist Niccolò Machiavelli?«
Ich starrte erst Baldassare an, dann den Brief. Niccolò hatte mir geschrieben? In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder kurze Nachrichten gesandt, die in Girolamos Briefe eingefaltet waren. Was war in Florenz geschehen, dass Niccolò mir zum ersten Mal direkt schrieb? Was war mit Girolamo, mit seinem Streit mit dem Papst – warum schrieb er mir nicht?
»Niccolò ist ein Freund aus Florenz«, erklärte ich dem offensichtlich eifersüchtigen Baldassare.
»Ein Freund. In Florenz«, murmelte er und glaubte mir kein Wort. »Du hast mir nicht erzählt, dass du in Florenz warst …«
Du weißt so vieles nicht!, dachte ich.
»… oder dass du dort Freunde hast.«
»Du hast keinen Grund zur Eifersucht«, versicherte ich ihm.
»Ach nein?«, fragte er. »Dann erklär mir bitte, wer derjenige ist, an den
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