Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Giulio sollen dort sein. Ich kann Michelangelos Entschluss verstehen. In Florenz ist nichts mehr so wie früher, als Lorenzo noch lebte: Seit die Demokratie eine Theokratie geworden ist, herrschen Armut und Hunger. Savonarola zerreibt sich an der Aufgabe, die Not zu lindern, aber er schafft es nicht. Das Volk beginnt, sich von ihm abzuwenden, und ich frage mich: Hat Gott sich bereits von ihm abgewandt? Am liebsten würde ich auch weggehen, zu Kardinal Giovanni nach Rom oder zu dir nach Mailand, aber ich kann Florenz nicht verlassen. Nicht, ohne wenigstens den Versuch zu machen, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen …«
Nachdem ich den Brief zu Ende gelesen hatte, faltete ich ihn zusammen und warf ihn ins Feuer des Kamins.
Auch ich hatte meine Entscheidung getroffen. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, mich umzuziehen, sondern sattelte mein Pferd und ritt zum Castello Sforzesco.
Das Versteckspiel war zu Ende.
Ich galoppierte durch das Tor des Castello, bevor einer der Bewaffneten auf die Idee kam, mich aufhalten zu wollen. Im Hof sprang ich vom Pferd und verschwand in der Rocchetta, wo sich Baldassares Wohnung befand.
Ich rannte die Treppe hinauf, riss die Tür auf und stürmte in den Raum, dann schloss ich sie mit einem kräftigen Tritt und lehnte mich dagegen.
Baldassare, der am Schreibtisch saß, blickte überrascht auf. »Du?«
»Ich, Caterina.«
Er starrte mich an, irritiert.
In diesem Augenblick wurde erneut die Tür geöffnet, und zwei Wachen stürzten in den Raum. »Signore! Ist alles in Ordnung? Dieser junge Mann hat die Wachen am Tor beinahe umgeritten. Wir dachten, er … Dio mio! Es ist eine Frau! … sie würde den Herzog ermorden wollen …«
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Baldassare, ohne mich aus den Augen zu lassen. Mit einem ungeduldigen Wink scheuchte er die Bewaffneten aus dem Raum.
Sie wandten sich um und warfen mir einen neugierigen Blick zu, den ich nicht geruhte, zu erwidern. Ich nahm an, dass sie den Vorfall melden würden. Falls sie mich von meinem letzten Besuch erkannt hatten – Lionetto hatte mir erzählt, dass meine spektakuläre Flucht aus dem Castello für einiges Aufsehen gesorgt hatte –, blieb nicht allzu viel Zeit …
»Caterina?«, wandte sich Baldassare an mich, sobald wir allein waren. »Ist das dein Name?«
»Ja.«
»Das freut mich«, erwiderte er. »Caterina gefällt mir viel besser als Cassandra. Es klingt nicht so tragisch.«
Ich rang mich zu einem freudlosen Lachen durch. »Nein, an Caterina ist nichts Tragisches. Nicht, wenn du den Namen so liebevoll aussprichst. Das Schicksalhafte liegt immer in der Komplexität der Wahrheit, die so viele Facetten hat: Ich bin Caterina de’ Medici.«
»Das ist …«, begann er, verschonte mich aber mit einem ungläubigen »unmöglich«.
»… die Wahrheit«, versicherte ich ihm.
Er ließ mich ausreden, ohne mich zu unterbrechen. Ich ersparte ihm alle Einzelheiten, die ihn nur beunruhigen würden. Was ich ihm erzählte, war irritierend genug. Und er verschonte mich mit Fragen wie »Warum?« und »Wozu?«. Erst als ich geendet hatte, stellte er mir eine Frage:
»Und warum brichst du nun dein Schweigen, Caterina?«
»Es war die Frage, die du mir gestellt hast: Wer bist du? Du hast nicht nach dem Wer gefragt, sondern nach dem Du «, erwiderte ich. »Ich habe mich erinnert, wie ich selbst vor Jahren genau dieselbe Frage an Lorenzo gestellt habe. Allerdings habe ich nicht nach dem Ich gefragt, sondern nach dem Wer .«
»Und wie war die Antwort?«, fragte Baldassare.
»Es war dieselbe: Das, was ich sein will, und das, was ich bin, sind identisch. Das ist mir heute klar geworden. Ich will mich nicht mehr verstecken. Denn ich bin die ich bin: Caterina de’ Medici.«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Herzog Ludovico stürmte in den Raum. Als er mich erkannte, blieb er stehen. »Ich wollte es nicht glauben«, flüsterte er. »Ich habe gesagt: Es kann nicht sein, dass sie in Mailand ist. Das wagt sie nicht!«
»Und doch bin ich hier, Euer Gnaden«, erklärte ich ruhig.
»Welch eine Freude Euch zu sehen«, sagte er sarkastisch.
»Ihr lügt so charmant, Euer Gnaden, dass ich Euch fast glauben könnte«, erklärte ich mit einem eisigen Lächeln.
»Wozu?«, wollte er wissen. »Um Euch an mir zu rächen, weil die Medici aus Florenz vertrieben worden sind?«
»Nein, Euer Exzellenz. Ich wollte in Mailand neu anfangen …«
»Haltet mich nicht für einen Narren, Caterina!«, unterbrach er mich
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