Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
dieser Brief gerichtet ist: Wer ist Celestino?«
Wie gebannt starrte ich auf das gefaltete Pergament in seiner Hand und schwieg. Seinem fragenden Blick wich ich aus. Ich konnte ihm mein Geheimnis nicht verraten, ohne ihn und mich selbst in Gefahr zu bringen.
Als ich nicht antwortete, erhob er sich und warf zornig den Brief auf den Tisch. Er kam einen Schritt näher, aber ich wich vor ihm zurück. Er blieb vor mir stehen, betrachtete mich aufmerksam.
»Aber mehr als alles andere interessiert mich die Frage: Wer ist Cassandra?«, fragte er leise. »Sag mir: Wer bist du? «
»Ich frage nicht nach dem Wer?, sondern nach dem Du!. Solltest du dich entscheiden, meine Frage zu beantworten, weißt du, wo du mich findest, Caterina, Celestino, Cassandra oder wer auch immer du bist«, hatte Baldassare gefaucht, dann war er wütend abgezogen und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Ich war zusammengezuckt, als ob ich aus einem Albtraum erwachte.
Wie gehetzt lief ich in meinem Schlafzimmer auf und ab und drehte Niccolòs Brief in meiner Hand.
Was sollte ich tun? Ich wollte Baldassare nicht verlieren – seine Freundschaft bedeutete mir sehr viel. Ich konnte und wollte ihn nicht erneut irreführen. Aber wenn ich ihm erzählte, wer ich wirklich war: Würde er mir überhaupt glauben? Was würde er tun, wenn er die Wahrheit wüsste – mir vergeben, mich verraten?
Verwirrt ließ ich mich auf einen Stuhl sinken und riss Niccolòs Brief auf. Er hatte Unglaubliches zu berichten, und ich verstand, warum er sein Schreiben nicht Girolamo anvertraut hatte.
Papst Alexander hatte Savonarolas Lehren einer dominikanischen Kommission vorgelegt, um sie zu prüfen und, falls möglich, zu widerlegen. Die Kommission hatte wider Erwarten Girolamos Lehren anerkannt. Die moralischen Reformen in Florenz standen im Einklang mit dem Willen Gottes und Seines Stellvertreters. Papst Alexander wollte den Prior von San Marco mit einem Kardinalspurpur versöhnen und schickte einen Dominikaner nach Florenz, um Savonarola das Breve der Investitur zu überbringen und die einzige Bedingung des Papstes vorzutragen: Er möge seine Wortwahl überdenken. Er sollte aufhören, den Untergang der Kirche zu prophezeien. Als Kardinal könnte er die Kirchenverwaltung reformieren – mit engagierter Unterstützung Seiner Heiligkeit.
Girolamos Antwort an den Papst war kurz: »Komm zu meiner nächsten Predigt im Dom von Florenz«, hatte er geantwortet: »Da wirst du meine Antwort hören!« Girolamo ignorierte das Predigtverbot und schleuderte Blitz und Donner gegen den Pontifex. Ende Februar 1496 kam es zum offenen Bruch zwischen dem Prior und dem Papst. Während einer feurigen Predigt im Dom verweigerte Girolamo Savonarola dem Papst Gehorsam – er fühlte sich nur Gott und seinem Gewissen verpflichtet. Ein paar Tage später wurde ein Attentat auf ihn verübt, das der Prior nur mit viel Glück überlebte.
Ich ließ Niccolòs Brief sinken und versuchte, mir Rodrigos fröhliches und unbeschwertes Lächeln vorzustellen und Girolamos nachsichtige Geduld – aber irgendwie wollte es mir nicht gelingen. Ich hatte geglaubt, beide gut zu kennen. Was trieb sie bis an den Rand ihrer selbst, dass sie derart aufeinander losgingen? Ein Attentat! Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Rodrigo den Befehl gegeben hatte, Girolamo zu ermorden. Oder doch? Selbst die Kardinäle Ascanio Sforza und Giuliano della Rovere fürchteten den Zorn des Papstes so sehr, dass sie nach Mailand und Avignon geflohen waren …
Wohin trieben wir alle wie ein Segelschiff im Sturm? Wir logen, betrogen, täuschten, drohten und mordeten, um zu schützen, was doch gar nicht wir selbst waren: Macht, Einfluss, Ruhm, Ehre, Stolz, Unabhängigkeit und Glaube. Und einen Namen, durchzuckte es mich. Was veranlasste mich, entgegen dem Gebot des verissimus esse Baldassare monatelang zu belügen und sein Vertrauen zu missbrauchen? Und was brachte ihn dazu, derart wütend die Tür hinter sich zuzuschlagen?
Eine Weile saß ich unbeweglich und dachte nach. Es schien nur eine Möglichkeit zu geben, das Riff, das unter den Wellen lauerte, zu umschiffen. Amerigo hätte gesagt, ich müsste mir einen ruhigen Ankerplatz suchen, um dem Sturm zu entkommen.
Ich las weiter:
»Stell dir vor, ich habe gestern Michelangelo in Florenz getroffen. Er ist vor einigen Wochen aus Bologna zurückgekehrt. Doch er will nicht in Florenz bleiben, sondern in ein paar Wochen nach Rom gehen – Piero, Kardinal Giovanni und Monsignore
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