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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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unserem Leben, das ›Sei du selbst!‹ ist die letzte Transmutation unseres Seins.«
    Er fiel zurück in sein Schweigen und starrte den Gekreuzigten in seiner Hand an. Dann barg er sein Gesicht in den Händen und weinte wie unter Qualen.
    Tröstend umarmte ich ihn, und seine Tränen netzten mein Gesicht. Dann ließ er mich los, richtete sich auf und wischte sich über die Augen. »Danke, dass du mich in dieser Stunde ertragen hast, Celestino: meine Tränen, meine Zweifel und mein Selbstmitleid. Danke, dass du mit mir gebetet und mir die Kraft gegeben hast, meinen Weg bis zu Ende zu gehen. Von nun an werde ich keine Tränen mehr vergießen, sondern mein Blut.«
    Der Wächter öffnete mit lautem Schlüsselgerassel die Tür des Verlieses. Es war so weit: Ich musste gehen.
    »Gott segne und beschütze dich, Girolamo«, flüsterte ich und ließ seine Hand los. Dann erhob ich mich. »Ich werde heute Nacht darum bitten, dass Er dich nicht lange leiden lässt.«

    Die Piazza war ein wogendes Meer aus Menschenleibern, als Girolamo gegen Mittag des nächsten Tages aus dem Palazzo della Signoria geführt wurde. Das Urteil wurde verlesen: Tod durch Erhängen am Galgen, dann Verbrennen auf dem Scheiterhaufen.
    Girolamo war überrascht. Er suchte mein Gesicht in der Menge, um mir mit einem Lächeln für diesen Tod zu danken, den ich in der Nacht dem Bannerträger abgerungen hatte.
    Girolamo Savonarola ging seinem Tod mit einer Würde entgegen, die die Wartenden auf der Piazza enttäuschte. Sie hatten erwartet, dass der Frater demütig wäre, weil er seine Macht und sein Selbstvertrauen verloren hatte, oder ängstlich, weil er sich von Gott verlassen glaubte. Gelassen ertrug er, wie ihm der Crucifixus abgenommen wurde, das schwarze Skapulier, der weiße Habit. Wie ihm seine Priesterwürde genommen und er von der streitbaren Kirche geschieden wurde. Nackt wie Gott ihn erschaffen hatte, ertrug er die Beleidigungen und Demütigungen der Florentiner, während er gemessenen Schrittes zu seinem Galgen in der Mitte der Piazza ging.
    »Prophet Girolamo! Jetzt wäre es Zeit für ein Wunder!«, brüllte ein junger Mann, als Savonarola auf das Podest des Galgens stieg und die Schlinge um seinen Hals gelegt wurde. Andere stimmten ein: »Heiliger Girolamo, zeig uns deine Macht und steig herab von deinem Scheiterhaufen!«
    Mit Niccolò drängte ich mich durch die Menge, bis ich direkt unterhalb der Richtstätte stand. Ich trug den Dominikanerhabit und hatte die schwarze Kapuze tief über das Gesicht gezogen, deshalb erkannte Girolamo mich nicht sofort, als sein Blick über die hasserfüllte Menge glitt.
    Doch dann sah er, wie ich ihm mit ausgestrecktem Arm etwas reichen wollte. Er versuchte danach zu greifen – vergeblich. Der Henker entriss mir den hölzernen Crucifixus und reichte ihn Girolamo. Ein glückliches Lächeln huschte über das Gesicht des Fraters, als er sein eigenes Kreuz erkannte, das ich an diesem Morgen aus seiner Zelle in San Marco geholt hatte.
    Noch während sich die Worte eines Gebetes auf seinen Lippen formten und er den Gekreuzigten küsste, wurde er mit einem Ruck hochgezogen. Er ließ das Kreuz nicht los, machte keinen Versuch, den Strick um seinen Hals zu erreichen. Er zappelte und zuckte, das Symbol seines unerschütterlichen Glaubens in der zum Himmel ausgestreckten zitternden Hand, er rang um jeden Atemzug, kämpfte um jeden Funken Leben. Sein Gesicht wurde blass, die Augen glasig, er rang nach Atem. Dann wurde er ruhiger, richtete den Blick zum Himmel und hauchte mit einem letzten Atemzug seine Seele aus.
    Das Kreuz fiel zu Boden.

    Die Menschen auf der Piazza starrten hinauf zu ihrem hingerichteten Propheten, dessen sterblicher Körper im leisen Sommerwind am Galgen hing, dessen unsterbliche Seele nach Meinung der meisten Anwesenden wohl schon auf dem Weg ins Feuer des Infernos war, um dort bis ans Ende aller Zeit zu büßen. Wofür? Für welche Verfehlungen und Irrtümer des Gewissens? Für welche selbst gewählte Pflicht und Verantwortung?
    Verlegenes Schweigen. Verhaltene Gesten.
    Gedanken an Schuld und Sühne?
    Aber kein Wort der Vergebung. Keine Gnade. Keine Liebe.
    Nicht einmal Verantwortung für das, was man selbst getan hatte.
    Das Feuer des Scheiterhaufens wurde entzündet.
    Die Flammen knisterten durch das lastende Schweigen, entzündeten die irrenden Gedanken und verbrannten die Erinnerung an eine andere Zeit – eine Zeit, in der niemand ein Täter und alle nur Opfer waren.
    Ich blieb bei Girolamo,

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