Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
ich selbst wollte. Mein eigenes Gewissen schreit lauter als Er in seinem Zorn über mein Versagen, und ich kann nicht verstehen, was Er mir sagt.«
»Er sagt: Was immer du getan hast, Girolamo, Ich vergebe dir.«
»Wieso sollte Er das tun?«, zweifelte der Frater.
»Er war hungrig, und du hast Ihm zu essen gegeben, Er war durstig, und du hast Seinen Durst gestillt. Er war nackt, arm und ohne Arbeit, und du hast dich um Ihn gesorgt und bemüht. Er war im Gefängnis, und du hast Ihn freigelassen. Du fragst: Wann war das? Ich habe doch nur meinem Gewissen entsprechend gehandelt, die Not zu lindern. Ich habe Ordnung geschaffen, wo Chaos war. Und ich war friedfertig, als die Schwerter gezogen wurden. Ich habe versucht, die gewalttätigen und zerstörerischen Ausschreitungen nach der Flucht der Medici zu verhindern und für Ruhe und Ordnung und ein bisschen Selbstachtung der Menschen zu sorgen. Ich habe versucht, die Notwendigkeit von Frömmigkeit, Bescheidenheit und Nächstenliebe den Menschen begreiflich zu machen, und deshalb musste ich einem unwürdigen Papst ungehorsam sein.
Ich sage dir, Girolamo, was du einem Seiner Kinder getan hast, das hast du für Ihn getan. Wenn Er dir nicht vergibt, weiß ich nicht, warum Er Seinen Sohn in die Welt geschickt hat, um solchen Unsinn von Liebe und Vergebung zu verbreiten.«
Girolamo schwieg eine Weile. » Ich habe nicht Liebe und Vergebung gepredigt«, kam er schließlich zur Einsicht.
»Nein, diese Worte habe ich nie von dir gehört«, stimmte ich zu. »Aber entscheidend ist am Ende, wie du gehandelt hast. Ich will nicht für Lorenzo sprechen, der dir in der Stunde seines Todes vergeben hat, oder für Angelo und Giovanni, die beide als Dominikaner in San Marco starben, nicht für Giulio, der dich wie einen Vater liebt, sondern nur für mich selbst.
Du hast meinen Hunger gestillt und meinen Durst gelöscht, du hast mir deinen Habit gegeben, als ich nichts anzuziehen hatte, und mir dein Bett angeboten, als ich nicht wusste, wo ich schlafen sollte. Du hast mich gegen meine Verfolger geschützt, hast mich unter großen Gefahren im Konvent versteckt und hättest am Ende sogar deinen Freund Giovanni gehen lassen, damit wir glücklich werden konnten. Kein Mensch kann mehr für einen anderen tun, als was du für mich getan hast, Girolamo.«
Schweigend starrte er den hölzernen Crucifixus an, den er am Band um den Hals trug. Er hielt ihn vor sein Gesicht und betrachtete den hingerichteten Menschensohn von allen Seiten.
»Hast du Angst, Girolamo?«, fragte ich nach einer Weile.
»Ich habe grauenvolle Angst. Nicht vor dem Sterben, nicht vor den Schmerzen des Feuers auf dem Scheiterhaufen. Ich habe Angst, dass ich nicht so würdig sterben kann wie Lorenzo, Angelo oder Giovanni. Sie werden mich lebendig verbrennen. Ich weiß nicht, ob ich die furchtbaren Schmerzen ertragen kann, ohne den Herrn um Erlösung anzuflehen, ohne ein ›Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?‹ in den Himmel hinaufzubrüllen. Ein einziger Augenblick der Schwäche, ein Stolpern, ein Schrei in der Stunde meines Todes kann alles zerstören, was mein Leben … was mich ausgemacht hat.«
»Die Florentiner werden sich an dich erinnern.«
»Werden sie das? An wen werden sie sich erinnern?«, fragte er verbittert. »An Savonarola, der in Florenz die Gottesherrschaft aufrichtete – an den fanatischen Propheten, der wie ein Tyrann regierte? An Fra Girolamo, der auf der Piazza della Signoria die Fegefeuer der Eitelkeiten entzündete – an den Zerstörer von allem, was dem florentinischen Humanismus heilig ist? Oder an den aufsässigen dominikanischen Mönch, der es wagte, sich mit dem Papst anzulegen, das Interdikt für Florenz riskierte, im theologischen Zweikampf unterlag und deshalb als Ketzer hingerichtet und verbrannt wurde? Wenn es das ist, was von mir bleibt, dann ist es besser, wenn ich vergessen werde. Dann war mein Leben sinnlos …«
»Kein Leben ist sinnlos, Girolamo. Und kein Tod ist vergeblich. Jeder von uns hat eine Bestimmung. Manche Aufgaben sind leicht zu erfüllen, erfordern nicht mehr als ein Lächeln und erlösen uns, bevor wir unseren Weg zu Ende gegangen sind. An anderen Aufgaben scheitern wir immer wieder, und sie kosten uns das Lebensglück, die Liebe, die Würde, das Leben. Und trotzdem müssen wir sie erfüllen, um in der Stunde unseres Todes, wenn wir den gewundenen Weg unseres Lebens gegangen sind, wir selbst zu werden. Das ›Werde der du bist!‹ ist das einzig Unvermeidliche in
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