Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
geweint. Ich habe ihn endgültig verloren.«
Lucrezia wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. »Würdest du mir eine einfache und für mich verständliche Antwort auf eine Frage geben, die du ›kompliziert‹ nennen wirst?«
Ich nickte.
»Warum bist du mit mir nach Ferrara gekommen, statt in Urbino zu bleiben? Und wieso steigst du nicht auf dein Pferd und reitest so schnell du kannst zu ihm zurück?«
»Ich habe dir versprochen, dich nach Ferrara zu begleiten …«
»Ich entbinde dich von deinem Versprechen«, unterbrach sie mich.
»… und ich habe Angst.«
» Du hast Angst? Die unerschrockene Caterina, die in ihrem Laboratorium mit Gift und Sprengstoff herumlaboriert, die tapfere Caterina, die immer wieder aus der sichersten Festung Italiens ausgebrochen ist, nur um Ludovico il Moro zu ärgern, die sich mit meinem Heiligen Vater derart angelegt hat, dass er sie für ein halbes Jahr nach Nepi verbannte, die sich nach Alfonsos Tod mit meinem selbstherrlichen Bruder gestritten hat, bis im Vatikan die Funken flogen und alle in Deckung gingen, diese Caterina fürchtet sich? Wovor hast du Angst? Dass Guido dich demütigt und sagt: ›Verschwinde aus meinem Leben‹? Oder ist es vielmehr deine Furcht, dass er es doch wagen, ja, Caterina, ich sagte: wagen könnte, dich zu lieben und von dir verletzt zu werden, weil du heroisch um dich schlägst, um genau das zu verhindern?«
»Was?«, hauchte ich erschüttert.
»Du willst nicht geliebt werden«, sagte sie erbarmungslos. »Jedes Mal wenn Cesare dir sein ›Te quiero!‹ ins Ohr flüstert, weist du ihn zurück. Du verkriechst dich in deine Einsamkeit wie andere Menschen hinter Ruhm und Ehre, hinter leuchtenden Brokatstoffen, funkelndem Diamantschmuck und Karnevalsmasken. Und sobald dir irgendjemand zu nahe kommt, sobald irgendjemand dich liebenswert finden könnte, bestrafst du ihn für sein Mitgefühl. Nein, Caterina, lass mich ausreden! Ich weiß nicht, was du getan haben könntest, dass du derart selbstverachtend über dich richtest und keinem Menschen die Chance gibst, dich aus deiner Einsamkeit zu befreien. Ich habe mich monatelang bemüht, aber ich verstehe dich nicht mehr. Kein bisschen.«
Ich barg mein Gesicht in den Händen und weinte still vor mich hin. Sie umarmte mich und wiegte mich wie ein kleines Kind. »Weine, mia cara «, flüsterte sie. »Weine um dich selbst! Aber nicht weil du in einigen Monaten unter Qualen sterben wirst. Sondern weil du schon längst tot bist.«
In meiner Wut wollte ich sie anschreien, wollte ich sie schlagen, doch ich brachte nicht mehr als ein Schluchzen zustande. Lucrezia hielt mich fest und ließ mich weinen. Wie lange wir so lagen, weiß ich nicht mehr. Sie strich mir über das Haar und küsste mich auf die heiße Stirn.
Dann erhob sie sich vom Bett, und ich dachte schon, sie wollte mich verlassen. Aber sie ging hinüber zur der Holzkassette mit den fünfundzwanzig Phiolen Aurum und stellte sie neben mich. Daraufhin öffnete sie eine Kleidertruhe und stöberte darin herum, zog einige Hemden und Hosen und meine Reitstiefel hervor und warf sie neben mich auf das Bett. Meine Samtmaske flog quer durch den Raum und landete oben auf dem ungeordneten Haufen. Meine Brokatkleider stopfte sie zurück in die Truhe, ebenso die Bücher, die ich aus der vatikanischen Bibliothek mitgenommen hatte.
Ich setzte mich im Bett auf und beobachtete Lucrezia, wie sie durch mein Schlafzimmer wirbelte, Truhen öffnete und weitere Kleidungsstücke auf das Bett schleuderte. Schließlich stopfte sie den ganzen Haufen in eine Satteltasche.
»Was tust du?«, fragte ich nach einer Weile.
»Ich packe deine Sachen. Du wirst im Morgengrauen nach Urbino aufbrechen«, entschied sie. »Wenn du schnell reitest, kannst du in zwei oder drei Tagen bei ihm sein.«
»Aber …«
»Ich ertrage dich nicht mehr, Caterina«, erklärte Lucrezia mit der Erbarmungslosigkeit einer Borgia. »Und ich hoffe, dass Guido dich länger als ein paar Tage aushält. Entschuldige bitte: Eigentlich sollte ich mit dir hoffen, dass er es nicht tut. Denn nur dann kannst du nach Herzenslust unglücklich sein.«
Ich starrte sie an.
Lucrezia kniete sich auf das Bett und umarmte mich herzlich. »Das wolltest du doch hören, nicht wahr?«, flüsterte sie.
Im Morgengrauen brach ich auf, die Via Emilia entlang nach Osten. Hinter meinem Sattel waren die von Lucrezia so liebevoll gepackte Satteltasche und die mit Sand gefüllte Kassette mit den Glasphiolen festgeschnallt. Ich trug
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