Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Tage und Nächte nach deiner Abreise nach Ferrara waren unerträglich. Ich war so überrascht, als ich dich plötzlich in Lucrezias Gefolge sah, ich war so erschrocken über die Funken, die du aus mir herausschlugst: verwirrte Gefühle, Sehnsucht nach deiner Zärtlichkeit und grenzenlose Angst vor der Einsamkeit. Ich war verunsichert, wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte, nachdem ich mich entschlossen hatte, mit Elisabetta ins Kloster zu gehen, um Lucrezia den Palazzo zu überlassen. Ich habe Raffaello zu dir geschickt, damit er dich zu mir führen kann, und ich war maßlos enttäuscht, als er mir berichtete, du hättest nicht nach mir gefragt. Ich habe im Kloster von San Bernardino auf dich gewartet, denn ich wollte dir die Entscheidung überlassen, ob du zu mir kommst.
Dann standest du plötzlich vor mir, und ich wusste nicht mehr, was ich dir eigentlich sagen wollte. Deine Gelassenheit angesichts deines nahen Todes hat mich zutiefst erschreckt. Sechs Monate, vielleicht weniger. Ich habe geweint, als du mir sagtest, dass du mich liebst. Ich war so euphorisch … so traurig … so glücklich. Aber bevor ich meine verwirrten Gefühle selbst ganz verstand, bevor ich mich auf deine Liebe einlassen konnte, bist du verschwunden, wie du gekommen warst.«
»O Guido, ich dachte, dass du mich nicht mehr liebst.«
»Ich habe dich in all den Monaten nicht vergessen, meine Geliebte. Ich wollte dich zärtlich im Arm halten, so wie jetzt, dich küssen, dich lieben …«
»Liebe mich, Guido!«, flüsterte ich.
Er zog mich noch näher an sich und küsste mich leidenschaftlich. Unmerklich beschleunigte er seine lustvollen Bewegungen.
Unaufhaltsam stiegen wir gemeinsam hinauf in den Himmel, wo Wollen und Sollen ihre Bedeutung verlieren, wo die Agonie endet und die Ekstase beginnt, immer höher hinauf im Aufwind der Lust, der Befreiung entgegen, der Erlösung, dem Seelenfrieden.
Noch nie habe ich das Gefühl des Einsseins so überwältigend erlebt wie in dieser Nacht. Eng ineinander verschlungen wurden unsere Körper zu einem Körper, verschmolzen unsere Seelen zu einer Seele. Wir waren zwei Liebende in Coniunctio mit sich selbst.
Die Wochen in Urbino waren sinnlich und unvergesslich schön. Heiße Bäder, Ölmassagen, gutes Essen und unglaublich viel Liebe ließen mich eine Zeit lang meine Schmerzen vergessen.
Guido war ständig in meiner Nähe, auch wenn ich einen Tag im Bett verbringen musste. Er ließ dann seinen Schreibtisch in sein Schlafzimmer bringen, um mich nicht allein zu lassen. Manchmal unterbrach er seine Arbeit und legte sich eine Weile neben mich, um mich einfach nur anzusehen. »Ich bin so glücklich«, flüsterte er dann und küsste mich. Wir redeten und redeten, streichelten uns mit Worten und Blicken.
Abends zeigte er sich ungeniert mit mir bei Staatsempfängen und Banketten. An der großen Tafel saß ich nicht auf dem Sessel neben ihm, wo sonst Elisabettas Platz war, sondern ihm gegenüber, damit er mich den ganzen Abend über ansehen konnte, ohne die Tischgespräche mit den Botschaftern von Venedig, Florenz oder Siena zu vernachlässigen. Während der Konzerte im Saal der Engel legte er den Arm um mich, und ich lehnte ganz unbefangen an seiner Schulter, während wir der herrlichen Musik von Josquin Des-prez und Guillaume Dufay lauschten.
»Bleibst du über Nacht, Bella donna, oder reist du heute noch ab?«, flüsterte er mir dann zu und küsste mich. Es war ein Spiel zwischen uns: meine Abreise nach dem fernen Alexandria am folgenden Tag, meine Suche nach der antiken Biblioteca Alexandrina. Natürlich verschob ich meine Abreise von einem Tag auf den nächsten: »Nein, mio caro, ich bleibe noch eine Nacht«, antwortete ich ihm. »Dann schick all deine Liebhaber weg«, flüsterte er mit einem verführerischen Lächeln. »Ich komme heute Nacht zu dir.«
Es war ein Spiel, ein lächerlicher Versuch, meinen Tod zu verdrängen, aber irgendwie machte es Spaß, weil es unserer Beziehung eine Leichtigkeit verlieh, die alle überraschte, die uns vorher gekannt hatten. Wir hatten uns beide verändert: Wir waren fröhlicher, glücklicher, ja: leichtsinniger als jemals zuvor in unserem Leben.
Als Anfang März der Schnee geschmolzen war, ritten Guido und ich nach Fossombrone, ein paar Meilen von Urbino entfernt, wo Guido eine Villa besaß, die leichter beheizt werden konnte als die herrlichen, aber im Winter kühlen Säle des Palazzo Ducale. Wir verbrachten dort eine sinnliche Woche ohne Hofzeremoniell,
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