Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
bereiten. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich mich auf ihn stützte, während er mir die prachtvollen Säle des Palazzo Ducale zeigte, die herrlichen Madonnenbilder und Porträts, die er im Auftrag des Herzogs gemalt hatte. Schließlich hatte er mich zurück zum Schlafzimmer des Herzogs geführt, wo er sich mit einem formvollendeten Handkuss von mir verabschiedet hatte.
Ich starrte an die Decke und dachte an Guido, der mir besorgt um meine Gesundheit seinen Medicus und sein weiches Bett überlassen hatte, sein wärmendes Kaminfeuer, sein Silbergeschirr und seinen gut aussehenden und charmanten Hofmaler, seine seidenen Kissen, seine warme Hermelindecke, alles – nur nicht sich selbst. Der Empfang war mehr als kühl gewesen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ich war zutiefst enttäuscht.
Sicher, er war überrascht gewesen, mich zu sehen, doch er hatte mir keinen Kuss gegeben, nicht einmal einen gehauchten Handkuss. Stattdessen hatte er mich in seine Arme genommen und durch seinen Palast getragen, ohne ein Wort zu sagen. Meinem Blick war er ausgewichen. Meinen Gefühlen auch. Wie verletzt er immer noch war seit unserer letzten Trennung in jener furchtbaren Nacht in Nepi und meiner überraschenden Rückkehr aus der Verbannung in den Vatikan. Sicher wusste er durch seinen Schwager Giuliano della Rovere von meinem vertrauten Umgang mit Rodrigo, von meiner Versöhnung mit Cesare und seinen häufigen Besuchen mit seinem kleinen Sohn Girolamo.
Obwohl ich von der langen Reise erschöpft war, erhob ich mich vom Bett und trat an das Fenster, wo sich mir ein herrlicher Blick über die mondbeschienenen Hügel um Urbino bot.
Nicht einmal eine Meile entfernt, auf der anderen Seite der Stadt, lag das Kloster von San Bernardino. Und zum hundertsten Mal in dieser Nacht überlegte ich, was ich tun sollte. Ich wollte, nein: ich musste mit ihm reden, bevor wir am nächsten Morgen in Richtung Romagna aufbrachen. Der Herzog von Urbino würde Lucrezias Hochzeitszug zwar bis Pesaro das Ehrengeleit geben, aber angesichts seines großen Gefolges war es wohl kaum möglich, ihn allein zu sprechen. Ich hatte keine Ahnung, ob die Gefühle, die uns vor Monaten zusammengebracht hatten, im eisigen Schweigen der letzten Monate verwelkt waren, und ich wusste nicht, was ich eigentlich noch für ihn empfand. Aber ich war entschlossen, diesen scheinbar unüberwindlichen Berg von Missverständnissen zu überwinden, der zwischen uns stand, bevor ich nach Ferrara abreiste und Guido nie mehr wiedersah.
Ich rief einen der Diener des Herzogs und befahl ihm, mein Pferd satteln zu lassen und mich nach San Bernardino zu begleiten. Dann kleidete ich mich an und ritt kurz vor Mitternacht durch die Porta Lavagine über die verschneite Straße zum Kloster. Ein Franziskanerfrater führte mich zum Portal der Kirche und ließ mich eintreten.
Guido war nicht allein. Der junge Mann, der mir auf seinen Befehl beim Abendessen in meinen Räumen Gesellschaft geleistet hatte, stand neben ihm am Altar, auf dem eine einzige Kerze im eisigen Luftzug der Kirche vor sich hin flackerte.
»… ganz begeistert vom Palazzo, Exzellenz«, berichtete Maestro Raffaello dem Herzog. »Wir haben uns gut unterhalten. Sie hat nach Eurem Vater gefragt, nach Herzog Federico. Ich habe ihr die beiden Porträts Eurer Eltern von Piero della Francesca gezeigt, die im Audienzsaal hängen. Dann habe ich sie zu Eurem Schlafzimmer zurückgebracht und ihr eine gute Nacht gewünscht.«
»Wie geht es ihr?«
»Besser als heute Nachmittag. Lachen ist die beste Therapie.«
»Worüber hat sie denn gelacht?«, fragte Guido irritiert.
»Ich habe ihr erzählt, dass ich nach Florenz gehen will, um die Malweise von Giotto und Masaccio zu studieren. Und um mich mit den größten Maestros zu messen: Sandro Botticelli und Michelangelo Buonarroti, der vor einigen Monaten aus Rom nach Florenz zurückgekehrt ist. Mein Ehrgeiz schien sie zu amüsieren. Sie sagte: Ich erinnere sie an Michelangelo, der für sie so etwas wie ein Bruder sei.«
»Im Gegensatz zu mir scheinst du dich heute Abend offensichtlich amüsiert zu haben, Raffaello! Hat sie nach mir gefragt?«
»Nein, Euer Gnaden.«
Guido schwieg. War er enttäuscht? Im flackernden Kerzenschein konnte ich sein Gesicht nicht erkennen.
Ich stand in den tiefen Schatten jenseits des Lichts. Das Portal der Kirche war nur angelehnt, und im Kreuzgang warteten der Diener, der mich hergebracht hatte, und der Frater auf mich, bis meine nächtliche
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