Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Giulio würde lächerlich gemacht werden, sondern auch Lorenzo. Zunächst musste also festgestellt werden, ob sich Giulio in Rom aufhielt, wer von seiner Ankunft im Vatikan wusste, und ob er bereits eine Audienz beim Erzbischof hatte.
Dann fasste Lorenzo einen Entschluss: »Ich werde einen Boten zu den Orsini in Rom schicken. Virginio, das Oberhaupt der Familie, ist ein Cousin meiner verstorbenen Gemahlin Clarice. Er schuldet mir einen Gefallen. Er kann unauffällig feststellen, ob sich Giulio im Vatikan aufhält und ob er schon mit seinem Cousin Rinaldo gesprochen hat. Wenn nicht, soll Virginio dafür sorgen, dass er Giulio nicht empfängt. Vielleicht können wir deinen Bruder zur Vernunft bringen, damit er nach Florenz zurückkehrt, ohne Aufsehen zu erregen.«
»Glaubst du im Ernst, dass Giulio auf die Weihe verzichtet und nach Florenz zurückkehrt?«, fragte ich.
»Nein, denn ich habe ihn als einen Medici erzogen. Er kann sich meine Ratschläge anhören und sie dann ignorieren. Ich habe seine Entscheidungen zu respektieren, aber ich muss mit ihnen nicht einverstanden sein.«
Ich fragte nicht, was geschah, wenn Lorenzo il Magnifico, der Herr von Florenz, einem der mächtigsten Staaten in Italien, der Freund Ludovico Sforzas, des Regenten von Mailand, der Bündnispartner von Guidobaldo da Montefeltro, des Herzogs von Urbino, der Schwager von Papst Innozenz, mit dem Verhalten seines Neffen nicht einverstanden war. Giulio wäre nicht nur eine Karriere im Vatikan verwehrt, sondern auch die freundliche Aufnahme an den Höfen von Mailand, Ferrara, Mantua, Urbino und Neapel. Ich erhob mich, um Filippo da Gagliano zu Lorenzo zu bitten, damit er den Brief an Virginio Orsini diktierte.
Furchtbar fühlte ich mich – als hätte ich Giulio verraten. Aber was hätte ich anderes tun können, als Lorenzo zu sagen, wo sich mein Bruder aufhielt und was er zu tun beabsichtigte? Vielleicht konnte so das Schlimmste verhindert werden … aber: Was war das? Giulios Priesterweihe? Oder das Scheitern seines Traumes? Die unvermeidliche Auseinandersetzung zwischen Lorenzo und seinem ungehorsamen Neffen?
Filippo eilte zu Lorenzo und ließ mich im Vorzimmer mit Niccolò Machiavelli allein. Der junge Mann hielt noch immer die gerollten Pergamentbögen mit seinen Gedichten in der Hand.
»Signor Machiavelli, es tut mir sehr Leid: Mein Onkel lässt sich entschuldigen. Er hätte gern Eure Gedichte gehört, aber er hat dringende Staatsgeschäfte zu erledigen.«
»Ich hatte mit Seiner Exzellenz gerade über die Sonette gesprochen, die in dem Gedichtband erscheinen sollen. Wollt Ihr mir an seiner Stelle bei der Auswahl behilflich sein?«
Ich mochte Niccolò Machiavelli. Der Vortrag seiner Gedichte würde mir Freude machen. Und er hatte noch einen unschlagbaren Vorteil: Er würde mir den aufdringlichen Giovanni Sforza auf Distanz halten.
»Es wird mir ein Vergnügen sein.« Ich reichte ihm die Hand. »Ich würde mich freuen, wenn Ihr mich ganz informell mit meinem Namen ansprecht. Und ich werde Euch Niccolò nennen.«
Es war ein amüsanter Nachmittag, besonders für mich. Nach dem Mittagessen mit Giovanni Sforza und Niccolò Machiavelli, zu dem Lorenzo nicht erschien, zog ich mich mit beiden in einen der Empfangsräume zurück.
Piero verschonte uns mit seiner Anwesenheit: Er war mit einigen seiner unerträglichen Freunde ausgeritten, um zu jagen, und wollte in einer der Villen außerhalb von Florenz übernachten. Das Ende der Treibjagd konnte ich mir vorstellen: Eine Schar junger Mädchen aus den umliegenden Dörfern, die den umschwärmten Kronprinzen von Florenz kennen lernen wollten. Piero war bekannt dafür, dass er während seiner Abendessen in einer der Villen mit Fiorini um sich warf und dass er oft eines oder mehrere der Mädchen und manchmal auch einen seiner Freunde mit in sein Schlafzimmer nahm.
Giovanni Sforzas Stimmung sank unaufhaltsam, als ich Niccolòs Vortrag bewunderte. Er las zehn seiner Sonette vor, die im Stil Francesco Petrarcas verfasst waren und mir gut gefielen. Mein Lob machte Niccolò verlegen, während Giovanni Sforza sich nur mühsam beherrschen konnte. Besonders aufgebracht schien der Conte darüber, dass Niccolò und ich uns ungezwungen bei den Vornamen anredeten, als würden wir uns schon seit Jahren kennen, während ich ihn förmlich mit seinem Titel ansprach.
Tagelang hatte der Conte mich mit Geschenken erfreut – ein Perlenhalsband, ein Flakon mit kostbarem Rosenöl, ein Paar seidene Handschuhe, ein
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