Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
sprechen.
Nach seiner Rückkehr nach Florenz war Fra Girolamo zum Prior des Dominikanerklosters ernannt worden, das die Medici erbaut und über Jahrzehnte durch großzügige Schenkungen unterstützt hatten. Der Tradition entsprechend hätte ein neuer Prior Lorenzo als Regenten der Republik in seinem Palazzo aufsuchen müssen, um sich ihm vorzustellen. Aber Fra Girolamo hatte sich geweigert. Er habe Gott und nicht Lorenzo sein Amt zu verdanken. Einem »Heidenchristen« – er verwendete tatsächlich diese Bezeichnung – und Anhänger Platons wollte er nicht huldigen. Als Lorenzo von dem Ausbruch des Priors erfahren hatte, war er bestürzt gewesen.
Lorenzo lag viel an einer Aussöhnung mit dem Dominikaner. Er kam ihm fast den ganzen Weg die Via Larga hinauf entgegen: bis in den Garten von San Marco. In den folgenden Wochen war Lorenzo mehrmals im Skulpturengarten spazieren gegangen, um Fra Girolamo Gelegenheit zu geben, ihn »rein zufällig« zu treffen. Aber der Prior hatte eine informelle Begegnung vermieden, obwohl viele Fratres ihn auf Lorenzos stundenlange Anwesenheit bei Michelangelo im Skulpturengarten hinwiesen. »Hat Lorenzo de’ Medici nach mir gefragt?«, wollte er wissen. – »Nein!« – »Dann soll er allein weiter spazieren gehen.«
Lorenzos nächster Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem eigensinnigen Prior von San Marco war eine großzügige Schenkung an das Kloster gewesen. Fra Girolamo verwendete die Fiorini jedoch nicht ihrer Bestimmung entsprechend, sondern spendete sie für die Armenspeisung. Er wollte Lorenzo beweisen, dass er unbestechlich war. Wenn er die Schenkung für San Marco angenommen hätte, wäre er Lorenzo Dank schuldig gewesen – so wie er sich herzlich bei Giovanni Pico für dessen Donation bedankt hatte. Lorenzo war in seinem Stolz gekränkt: »Wenn dieser Mönch nichts anderes zu tun hat, als mir den Krieg zu erklären – von mir aus! Ich habe einen Staat zu regieren.«
Seit jener Zeit schwelte der Konflikt zwischen dem Prior von San Marco und dem Herrn von Florenz wie ein Vulkan vor dem Ausbruch: hin und wieder ein Donnergrollen, ein paar Rauchwolken, aber noch war die heiße Lava nicht ausgebrochen.
»Ist Giulio im Kloster?«, fragte Lorenzo.
»Er war dort.«
Lorenzos Faust umklammerte die Armlehne. Wie sehr musste Giulios Verhalten seinen Onkel verletzen! In seinen Augen war es ein unverzeihlicher Verrat, dass Giulio zu Savonarola geflohen war.
»Er hat bei Fra Girolamo seine Beichte abgelegt und ist nach Rom aufgebrochen, um sich durch Erzbischof Rinaldo Orsini weihen zu lassen. Der Frater sagte, sein Entschluss, Priester zu werden, stand unumstößlich fest.«
»O mein Gott«, entfuhr es Lorenzo. Er barg sein Gesicht in den Händen, verharrte einige Minuten unbeweglich, nachdenklich, schweigend. Dann seufzte er schicksalsergeben und schüttelte den Kopf.
Sollte ich ihm erzählen, was Fra Girolamo über ihn gesagt hatte? Lorenzo wirkte so verletzlich, dass ich ihm die Tiraden des Priors gern erspart hätte. Aber – durfte ich es? War es nicht meine Pflicht, ihn über Savonarolas Angriffe in Kenntnis zu setzen?
»Es gibt da noch etwas, was du wissen solltest …«, fasste ich Fra Girolamos Predigt in kurzen, prosaischen Sätzen zusammen.
Lorenzo starrte mich an. »Es war nicht das erste Mal, dass man mich einen Tyrannen nennt. Dieser Vorwurf hat sich im Lauf der Jahre abgenutzt, und ich höre nicht mehr hin. Über die Beschuldigungen der Wahlmanipulation und der Veruntreuung von Staatseigentum kann ich nur lachen.
Glaubt dieser Mönch im Ernst, dass ich Florenz nur so zum Spaß in meiner Freizeit regiere, wie andere Signori Boccia spielen? Dass ich die Staatsempfänge aus eigener Tasche bezahle?« Lorenzo schüttelte den Kopf und seufzte. »Lass ihn reden, Caterina! Er weiß nicht, was er tut. Die Florentiner werden sich seine Tiraden eine Zeit lang anhören wie ein neues Theaterstück auf der Piazza Santa Croce. Aber irgendwann werden sie sich langweilen, und die Kirche von San Marco wird leer sein, wenn der Prior die Kanzel betritt. So lange werde ich mich in Geduld üben, denn ich habe wichtigere Probleme als diesen Mönch: Giulio, meinen ›verlorenen Sohn‹.«
Lorenzo überlegte, wie er Giulio finden konnte: Papst Innozenz war Maddalenas Schwiegervater. Er würde Giulio nach Florenz zurückschicken, wenn Lorenzo ihn darum bat. Doch Giulios überstürzte Flucht nach Rom und seine unfreiwillige Heimkehr wären das Stadtgespräch von Florenz. Nicht nur
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