Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
abgebrochen. Ich war leidenschaftlich ergriffen …«
» Ihr wart verliebt, Frater?«, fragte ich verblüfft.
»Ich, Girolamo Savonarola, bekenne, verliebt gewesen zu sein«, gestand er in einem Tonfall, als wollte er mir die Beichte ablegen. »Sie wies mich ab. Ich fürchtete mich vor weiteren Demütigungen und floh ins Kloster. Ich hoffte, der Welt entsagen zu können. Es war ein endloser und furchtbarer Kampf. Ich war der Verlierer, obwohl ich siegte. Ich ließ alles hinter mir zurück, was mir in meinem Leben etwas bedeutet hatte: die junge Frau, in die ich mich verliebt hatte, meinen Vater, meine Brüder, meine Heimatstadt Ferrara. Ich fühlte mich wie mein großes Vorbild Thomas von Aquino. Auch er trat gegen den Widerstand seiner Familie in den Dominikanerorden ein.
Nichts war mir geblieben – außer Gott. Und den Vorwürfen meines Vaters, der nicht verstehen wollte, warum ich ins Kloster gegangen war. Er schrieb mir Briefe, die mich zu Tränen rührten und mich zweifeln ließen. So sehr, dass ich ihn mit verletzenden Worten bat, mich nicht länger mit seinem Unverständnis zu quälen. Stattdessen quälte ich mich selbst: Ich geißelte mich blutig, fastete und meditierte, studierte die Heilige Schrift, bis ich in meiner Zelle ohnmächtig vom Stuhl fiel. Ich verrichtete glücklich die niedrigsten Dienste im Kloster: Ich wartete bei Tisch auf, wusch die Füße der anderen Fratres, reinigte die Latrinen.
In meinem Eifer ging ich so weit, dass der Prior mir verbot, mich weiter zu demütigen. Ich verstieß gegen die Ordensregeln, denn ich hielt mich nicht an sein Verbot: Ich war ungehorsam. Aber ich konnte nicht anders. Ich geißelte mich jede Nacht, schlief nur noch drei oder vier Stunden und lieferte sogar meinen Crucifixus beim Prior ab, als er mir allzu lieb zu werden drohte. Ich kannte keine Grenzen mehr, keinen Zweifel, keine Schwäche, keine Niederlage. Deshalb verlor ich meinen inneren Kampf.«
»Ihr habt … verloren?«, fragte ich verwirrt.
»Ja, ich habe verloren, Caterina! In meinem grenzenlosen Stolz habe ich mein Leben mit dem der anderen Fratres verglichen. Ihre Halbherzigkeit machte mich zornig. Ich habe mein Leben an dem der Heiligen Domenico und Francesco von Assisi gemessen und hielt es für unwürdig. Ich habe mich verschlissen in dem Wunsch, vollkommen zu sein. Aber die Welt ist nicht vollkommen. Mein Leben lang habe ich gekämpft, um etwas zu sein, was ich nicht sein konnte. Jeden Tag habe ich mich gequält, aus Liebe zu Gott und aus Verbitterung, weil Er mich so unvollkommen erschaffen hatte. Ich habe verloren. Ich habe mich selbst verloren.
Ich war so unglücklich, wie ein Mensch nur sein kann, bis mein Prior mich eines Tages in seine Zelle bat. Er sagte mir, er verstehe mich nicht, weder mein Unglück noch meine Verzweiflung. Er fände keinen Schatten einer Sünde an mir. Ich sei vollkommen, unerträglich vollkommen. Ich war zufrieden.
Auf diesem Weg konnte ich nicht weitergehen, das wusste ich. Ich war so demütig, dass ich stolz wurde. Ich war so vollkommen, dass ich selbstgefällig wurde. Dieser Weg führt nirgendwohin. Das habe ich auch Giulio gesagt.«
»Und was hat mein Bruder darauf geantwortet?«, fragte ich.
»Er hat gelacht und gesagt, er sei ein Medici. Von Demut verstehe er nichts, sehr viel aber von Stolz und Selbstgefälligkeit. Außerdem wolle er Priester werden und kein Heiliger. Ich ließ Giulio gehen, weil er in Rom seinen Weg zu Ende gehen kann – und weil für ihn im Vatikan keine Gefahr besteht, ein Heiliger zu werden. In Rom wären selbst San Domenico und San Francesco von Assisi gescheitert – wie vor ihnen der Apostel Petrus.«
Auf dem Rückweg zum Palazzo Medici verschonte mich Giovanni Sforza nicht mit seinen Ansichten zu Fra Girolamos Auftreten. Er nannte den Dominikaner anmaßend und gefährlich. Wie konnte solch ein Mann Prior in einem von den Medici unterstützten Kloster werden! Und wie konnte ich Fra Girolamo zu meinem Beichtvater wählen! Ich ignorierte Giovanni Sforzas Herablassung und ließ ihm das Vergnügen, mich zu belehren, denn ich war froh, dass er keine Fragen stellte, die ich nicht beantworten konnte.
Giulios Verschwinden vor fünf Tagen war bisher im Palazzo geheim gehalten worden. Angelo Poliziano hatte Giovanni Sforza erklärt, Lorenzo habe seinen Neffen für ein paar Wochen nach Bologna geschickt, um die Professoren kennen zu lernen, die Bibliothek der Universität zu erforschen und sich auf das bevorstehende Studium
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