Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Maskenbälle und Bankette stattfanden. Am Sonntag, wenn dort die einflussreichen Freunde der Medici, Bankiers und Handelsherren aus Florenz und Venedig, Mailand und Sevilla zusammenkamen, um über Geschäfte zu reden.
»Ihr seht blass aus«, sagte Violetta. »Soll ich Euch einen Becher heiße Milch bringen? Ich habe nichts vorbereitet, denn der Signore ist ja verreist.«
»Danke, Violetta! Aber ich habe keinen Hunger. Ich muss zurück in den Palazzo, bevor …«
»… bevor das Abendessen serviert wird?«, ergänzte sie beleidigt. »Taubenpastete und Marzipankonfekt waren leider heute Früh auf dem Markt nicht zu bekommen. Wenn ich gewusst hätte, dass wir heute Abend eine Signorina de’ Medici zu Gast haben …«
Was war bloß in sie gefahren? Ihre Augen funkelten zornig, und sie hätte mir wohl am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen, wenn sie es gekonnt hätte. Aber ich stemmte meinen Fuß dagegen, und sie bemühte sich vergeblich, mich auf die Straße zu drängen.
Was hatte ich getan, um sie so zu beleidigen? Ich hatte doch lediglich gesagt, dass ich keinen Hunger hatte. Dass ich in den Palazzo zurückkehren wollte, weil man mich dort erwartete. Vielleicht sogar schon suchte …
Nichts hatte ich getan. Gar nichts. Ich hatte auch nichts gesagt, nichts Falsches. Es war die Tatsache, dass ich eine Medici war, was Violetta gegen mich aufbrachte.
Lorenzo wollte, dass ich Griechisch und Latein, Philosophie und Geschichte, Passamezzo und Pavane lernte, damit ich mich auf dem gefährlichen Parkett der florentinischen Politik elegant und würdevoll bewegen konnte. Verschwenderischer Reichtum, eine profunde humanistische Bildung und die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen – das bedeutete es, eine Medici zu sein. Aber auch Pflicht, Verantwortung und Disziplin. Ein Lächeln, um den Zorn über Piero nicht zu zeigen, und sehr viel Fantasie, um aufdringliche Verehrer wie Giovanni Sforza in Schach zu halten.
Für Violetta war ich nun eine von denen. Eine von denen, die glaubten, sich alles erlauben zu können, weil sie genug Geld hatten. Eine von denen, auf die man aus der Entfernung mit dem Finger zeigte und über die man sich die unsinnigsten Gerüchte erzählte. Eine von den Unerreichbaren, den Unantastbaren …
Nichts würde so sein wie früher! In diesem Haus, wo ich fünfzehn Jahre meines Lebens verbrachte, hatte ich nichts mehr verloren. Es gab keinen Grund mehr, jemals wieder hierher zurückzukehren. Ich ließ meine Vergangenheit unwiderruflich hinter mir zurück, als ich auf die Straße hinaustrat und leise die Tür zuzog, bevor Violetta sie hinter mir zuschlagen konnte.
Weinend vor Enttäuschung lief ich die dunkle Straße hinunter. Ich irrte durch die nächtlichen Gassen, setzte mich auf die Stufen der Kirche Santa Trinità und trocknete meine Tränen. Eine Weile hockte ich da und starrte zum Mond hinauf, der sich hin und wieder hinter einer Wolke versteckte.
Ein Geräusch ließ mich aufhorchen. Schritte auf dem Kopfsteinpflaster, geflüsterte Kommandos, das Rasseln von Degen. Ich dachte, ich wäre meinen Verfolgern entkommen! Meine Flucht durch Florenz war lächerlich gewesen. Wovor lief ich denn davon? Vor ein paar bösartigen Gerüchten! Hatte ich denn nicht von Anfang an gewusst, worauf ich mich einließ, als ich beschloss, eine Medici zu sein? Nein, ich hatte nie darüber nachgedacht.
Und wenn es nun doch Bewaffnete waren, die mich verfolgten, um mich zu entführen? Durch meinen Leichtsinn, meine grenzenlose Dummheit war Lorenzo erpressbar geworden. Worum ging es – um Geld? Er würde jedes Lösegeld zahlen. Um politische Macht in der Signoria? Um seinen Sturz?
Nein, es ging um mich! Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass in Florenz eine Frau von ihrem Liebhaber entführt wurde. In den meisten Fällen konnte man nicht von Entführung sprechen, denn die Frauen nutzten die Gelegenheit, ihren ungeliebten Ehemännern für einige Monate zu entkommen. Aber manchmal wurden Frauen auch gegen ihren Willen verschleppt.
Giovanni Sforza!, schoss es mir durch den Kopf. Er will mich gefügig machen. Er will mich unterwerfen. Und es wird ihn amüsieren, wenn ich um Gnade flehe.
Ich hatte ihn herausgefordert. Niccolò war seit unserer ersten Begegnung täglich im Palazzo Medici gewesen. Zuerst brachte er weitere Sonette, die ich für die Veröffentlichung auswählen sollte. Sein nächster Vorwand war eine Besprechung der Auflage seines Buches mit dem Drucker, die er auch am Vortag hätte
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