Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
dicke Folianten aus schwerem Pergament, herrliche Codices mit handgemalten Illustrationen in leuchtendem Blau, Rot und Gold, handschriftliche Notizen auf Folio, manche davon notdürftig mit einem halb zerrissenen Faden gebunden, Pergamentrollen, die so brüchig waren, als stammten sie noch aus der Antike, Manuskripte in griechischer Sprache, mehrere Codices mit seltsam verschlungenen Zeichen – war es Arabisch? – hebräische Texte, und ein paar Schnipsel, deren Schrift mir völlig unbekannt war.
Vorsichtig öffnete ich eine endlos lange Rolle aus einem Material, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Pflanzenfasern, die wie gespleißtes Schilf aussahen, waren in zwei Schichten übereinander geklebt und geglättet worden. Das ist Papyrus, das Schreibmaterial der alten Ägypter!, dachte ich aufgeregt. Die Schrift auf dem Papyrus war mit einer schlecht geschnittenen Feder oder einer weichen Schreibbinse geschrieben worden. Durch Wind, Staub und Sonne war die dicke schwarze Tinte im Lauf der Jahrhunderte verblichen. Ich versuchte, die ersten Worte zu lesen – es war Griechisch.
Ich zeigte Giovanni Pico die Rolle. »Was heißt das?«
»«, las er mir in flüssigem Griechisch vor. »›Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott‹. Das ist der Beginn des Johannes-Evangeliums.«
»Wie alt mag dieser Papyrus sein?«, fragte ich. »Er ist sehr zerbrechlich.«
»Alt, Caterina. Sehr alt. Deshalb werden wir ihn in den nächsten Tagen kopieren«, erklärte Giovanni.
Angelo kam zu uns herüber. »Wir werden unseren täglichen Griechischunterricht in die Bibliothek verlegen, Caterina. Hier kannst du mit Original-Handschriften arbeiten. Vielleicht willst du das Evangelium kopieren?«
»Und ob ich will«, rief ich und legte die Papyrusrolle zu den lateinischen Büchern auf meinem Lesepult. Das waren die Bände, die Giovanni mir zur Durchsicht gegeben hatte.
Lorenzo half uns unermüdlich, die Büchertruhen auszupacken. Für einen Augenblick schien er seine Schmerzen zu vergessen. Sein Gesicht strahlte verzückt, während er im Stroh wühlte. Dann rief er plötzlich: »Das ist völlig unmöglich! Das ist …«
Giovanni ging zu ihm und sah ihm über die Schulter.
»Das ist eine der Büchertruhen aus dem persönlichen Besitz des griechischen Kaisers Ioannis Palaiologos! Sieh nur das kaiserliche Siegel«, rief Lorenzo erstaunt. »Dann stimmt das Gerücht, dass er kostbare griechische Handschriften mitbrachte, als er 1439 zum Unionskonzil nach Florenz kam, um den Papst um Unterstützung gegen die Türken anzuflehen. Während des monatelangen Konzils schloss er Freundschaft mit meinem Großvater Cosimo.« Lorenzo hob vorsichtig ein in weißes Leder gebundenes Buch aus dem Stroh. »Seine Geschenke halfen Kaiser Ioannis nicht, denn 1453 wurde Konstantinopolis von Sultan Mehmet II . erobert. Wo hast du bloß diese Truhe gefunden, Giovanni?«
Giovanni reichte seinem Freund den Arm, um ihm aufzuhelfen. »Wie wäre es, wenn du dich ein bisschen schonst, Lorenzo mio ?«, sagte er leise. Zärtlich klopfte er mit der flachen Hand gegen Lorenzos Brust – auf die eingenähte Innentasche mit der Glasphiole. Mit sanfter Gewalt schob Giovanni seinen Freund zur Tür des Lesesaals.
Lorenzo protestierte: »Willst du mich aus meiner eigenen Bibliothek werfen?«
»Denk zur Abwechslung einmal an dich selbst! Und schlaf ein paar Stunden! Danach wirst du dich fühlen wie der wiedergeborene Herakles«, versprach Giovanni, schob Lorenzo durch die Tür und schloss sie hinter ihm.
Seufzend über Lorenzos Ungeduld kam Giovanni zu mir herüber. Ich zeigte ihm einen zerfaserten Fetzen Pergament, der nicht größer war als meine flache Hand. »Welche Sprache ist das?«
Giovanni trat ganz nah neben mich, sodass sich unsere Körper berührten, und warf einen Blick auf das Pergament. »Das ist Hebräisch.«
»Kannst du das lesen?«, fragte ich ungläubig.
Angelo trat zu uns. »Giovanni liest und spricht jede Sprache – Latein, Griechisch, Französisch, Arabisch, Hebräisch! Nur eine Sprache hat er nie gelernt: die der Poesie«, grinste er. »Das Einzige, was »San Giovanni« nicht an den Universitäten gelernt hat, ist, mit dem erworbenen Wissen nach Herzenslust anzugeben, um eine schöne Madonna zu beeindrucken.« Angelo sah mich mit einem geheimnisvollen Lächeln an. Spürte er, was zwischen Giovanni und mir vorging? Welche Funken des Gefühls wir aus dem anderen schlugen?
» Das kannst du viel besser als ich, du
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