Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
küsste ihn wie einen älteren Bruder auf beide Wangen. »Wie geht es dir, Lorenzo mio? Du siehst blass aus.«
»Die Schmerzen sind unerträglich«, seufzte Lorenzo, als er sich auf seinen lang vermissten Freund stützte, der mir einen weiteren langen Blick zuwarf.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, flüsterte der Conte so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Giovanni Pico meinte offensichtlich nicht die Truhen, die immer noch von den Maultieren abgeladen wurden. Er griff in die Tasche seines weiten Faltenmantels und zog eine kleine Phiole aus Glas hervor, die ein paar Tropfen flüssigen Goldes zu enthalten schien. Er drückte sie Lorenzo unauffällig in die Hand, sodass niemand sie sehen konnte. Niemand – außer mir!
»Du hast es geschafft? Du hast es wirklich geschafft?«, fragte Lorenzo aufgeregt.
»Und mein Laboratorium ist dieses Mal nicht explodiert«, grinste Giovanni Pico.
Neugierig trat ich näher, und Lorenzo sagte: »Caterina, ich möchte dir Giovanni Pico vorstellen, den Conte von Concordia. Giovanni war während des letzten halben Jahres in Italien unterwegs, um kostbare Bücher und seltene Manuskripte für meine Bibliothek zu suchen und nach Florenz zu bringen. Giovanni, das ist meine Nichte Caterina. Sie wird dir und Angelo helfen, die Bücher so zu ordnen, dass dieser Stapel mit Stroh gefüllter Kisten den Namen Biblioteca Laurenziana verdient.«
»Ich soll …«, stotterte ich. Die restlichen Worte waren mir irgendwie abhanden gekommen.
Wie sehr Lorenzo seine kostbare Bibliothek am Herzen lag, deren Leitung er seinem Freund Angelo übertragen hatte, wusste ich. Ich sollte Angelo und Giovanni unterstützen! Das war eine wundervolle Aufgabe. Ich würde mit den beiden größten Gelehrten Italiens zusammenarbeiten. Das war besser, viel besser als ein Studium in Pisa!
»Hast du nicht vorhin gesagt, dass du etwas Sinnvolles tun willst?«, fragte Lorenzo lächelnd. »Wenn du unbedingt Staub aufwirbeln willst, dann fang in der Laurenziana damit an.«
Ungestüm umarmte ich ihn und küsste ihn auf die Wange. »Danke, Lorenzo«, lachte ich glücklich und umarmte auch gleich noch Giovanni Pico, der meinen Kuss sehr zart erwiderte. Seinen Arm hielt er länger als nötig um meine Schultern geschlungen, doch schließlich ließ er mich unter Lorenzos Blicken zögernd los.
Angelo trat mit zwei dicken Folianten in den Händen zu uns. »Du hast ja wirklich Schätze ausgegraben, Giovanni«, freute er sich. »Schriften von Roger Bacon, einen Codex von Mohammed ar-Rasi, eine illustrierte Handschrift des Roman de la Rose. Du bist nicht zufällig in einem verfallenen Kloster auf ein fünftes Evangelium gestoßen?«
»Leider nicht«, lachte Giovanni. »Ich habe etwas viel Besseres: die handschriftlichen Notizen von Bernardus Trevisanus zum Opus Magnum. Ich glaube, er hat gefunden, wonach ich suche.«
»Dann kann ich die Bücherkisten wohl allein auspacken«, stöhnte Angelo in gespielter Verzweiflung, »während du mit dem Buch in deiner qualmenden und zischenden Hexenküche verschwindest.«
»Ich werde nicht vor dem nächsten Vollmond mit dem Opus beginnen, Angelo! Wir haben also noch zwei Wochen Zeit, die Bücher gemeinsam mit Caterina auszupacken.«
Mir schwirrte der Kopf: Laboratorium – Vollmond – Opus Magnum! Wer war Bernardus Trevisanus? Und was hatte er gefunden? War es möglich …? O mein Gott!
Während ich Lorenzo, Angelo und Giovanni die Treppe hinauf in die Bibliothek folgte, wo die ersten Büchertruhen ausgepackt wurden, dachte ich an die kleine Phiole mit goldschimmernder Flüssigkeit, die Giovanni Lorenzo gegeben hatte – wie ich annahm, gegen seine unaufhaltsam fortschreitende Krankheit. War es eine Medizin gewesen, die er für ihn in seinem Laboratorium hergestellt hatte? Nein, die Gicht war nicht heilbar, und die furchtbaren Schmerzen konnten nur mit einer immer größeren Dosis Opium zurückgedrängt werden – bis die Dosis eines Tages zu groß war.
Und wenn er nun … Nein, das war undenkbar! … Aber wenn Giovanni nun doch … ein Eingeweihter war? Ein Alchemist!
Eine Stunde später drängten sich achtundsiebzig mit Büchern gefüllte Truhen in der Bibliothek. Die meisten waren geöffnet, das Stroh quoll hervor und verteilte sich auf den Terrakotta-Fliesen, während Angelo, Lorenzo, Giovanni und ich mit leuchtenden Augen in den Schatztruhen wühlten.
Überall auf den hastig leer geräumten Lesepulten und Sitzbänken stapelten sich schmale, in Leder gebundene Bücher,
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