Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
guter und ausdauernder Tänzer gewesen war wie Lorenzo, der Madonna Lucrezia, ihrem verzückten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wohl eher wie der vom Himmel herabgestiegene Liebesgott Amor erschien.
Außer Atem kehrte ich nach dem Saltarello an meinen Platz zurück, um einen Schluck Chianti zu trinken – und lief Gian Giordano Orsini in die Arme. Er reichte mir den Weinbecher und flüsterte verschwörerisch: »Soll ich dich retten, liebste Cousine?«
»Retten, Gian Giordano? Wovor?«
»Vor der Langeweile, Caterina! Machiavelli wird vor Verlegenheit über seine eigenen Füße stolpern, wenn du mit ihm tanzt. Sieh mal, er wartet dort drüben auf dich! Ich weiß wirklich nicht, warum du dich überhaupt herablässt, mit ihm zu sprechen.«
Bevor ich antworten konnte, nahm er mir den Becher aus der Hand und zog, nein: zerrte mich energisch in die Mitte des Saals, um eine Pavane mit mir zu tanzen.
Was auch immer man über Gian Giordanos »römische« Manieren sagen konnte: Er tanzte wirklich gut! Die Pavane, die anschließende Tarantella, den Passamezzo und den Tourdion zu einer Komposition von Josquin Desprez absolvierte er magna cum laude. Gian Giordano entließ mich erst aus seiner Umarmung, als ich ihm einen weiteren Tanz versprach, später am Abend.
Ich zwängte mich durch die engen Reihen, wich einigen Tänzern aus, die schwungvoll ihre Pirouetten drehten, und wäre beinahe mit Lorenzo zusammengestoßen, der sprühend vor Lebenslust Madonna Lucrezia herumwirbelte. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen: War das eben ein verstohlener Kuss gewesen, ein geflüstertes Versprechen?
Was war in der Glasphiole?, fragte ich mich wohl zum hundertsten Mal an diesem Abend.
Und wo war eigentlich Giovanni? Er war nirgendwo zu sehen …
Seufzend schloss ich die Tür der Bibliothek hinter mir. Es war kurz vor Mitternacht. Ich war müde und noch immer ein wenig außer Atem von den ausgelassenen Tänzen mit Niccolò, Gian Giordano, mit Fra Mariano da Genazzano und dem Erzbischof von – woher kam er doch gleich?
Giovanni saß im Schein einer Kerze an seinem Lesepult. Ich konnte also nicht unbeobachtet in Trevisanus’ Buch blättern. Wie gehetzt kratzte seine Feder über das Pergament. Er machte Notizen, während er las.
Was für ein ungewöhnlicher Mensch er war: Er redete dreimal mehr und dreimal schneller als andere Menschen, als ob sein Geist unter einem unvorstellbaren Druck stand, der die Worte – Thesen, keine Trivialitäten – mit Gewalt aus ihm herauspresste. Er trug ein Notizbuch bei sich, in das er alles hineinkritzelte, was ihm wertvoll erschien: in Worte gegossene Fragmente der Welt – Sinn, nicht Sinnlichkeit.
Als ich die Tür hinter mir schloss, sah Giovanni überrascht auf. »Caterina! Was suchst du hier um diese Zeit?«
»Dasselbe wie du: Ruhe und Besinnung.« Ich trat näher in den Lichtschein und setzte mich ihm gegenüber an das Lesepult. »Und Antworten.«
»Antworten?« Er sah mich verblüfft an und ließ die Feder sinken. Als die Tinte auf seine Notizen zu tropfen begann, steckte er die Feder ungeduldig in das Tintenfass und wischte sich die geschwärzten Finger an einem Tuch ab. »Auf welche Fragen?«
»Die erste Frage lautet: Was war in der Glasphiole, die du Lorenzo gegeben hast? Du hast ihm während des Essens so besorgte Blicke zugeworfen, als hätte er eine zu große Dosis dieser goldgelben Flüssigkeit genommen. Er hat keine Schmerzen, tanzt wie ein junger Mann und bemüht sich gerade, Lucrezia Donati in sein Bett zu bekommen. Ich habe ihn noch nie so ausgelassen gesehen.«
Giovanni starrte mich an, schwieg aber.
»Als du Lorenzo die Phiole in die Hand gedrückt hast, fragte er dich: ›Du hast es wirklich geschafft?‹, und du hast genickt. Sag mir die Wahrheit, Giovanni: Hast du das Lebenselixier gefunden?«
»Nein«, sagte er. »Noch nicht.« Er wich meinem Blick nicht aus.
»Aber du suchst es«, triumphierte ich. »Was war in der Phiole?«
» Aurum potabile – trinkbares Gold«, sagte Giovanni.
»Ist das etwas Ähnliches wie diese seltsamen Pillen, die Lorenzo schluckt? Zerstoßene Perlen und pulverisierte Diamanten, die sein Leben verlängern sollen?«
»Um Gottes willen! Welcher Medicus hat ihm denn diesen gefährlichen Unsinn verschrieben? Diamanten!«, stöhnte Giovanni und lehnte sich auf seinem Sitz zurück. » Aurum potabile ist keine Tinktur aus flüssigem Gold, Caterina. Sie sieht nur so aus und bringt uns Alchemisten seit Jahrhunderten in den Ruf, wir könnten
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