Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
verurteilte Affäre verursacht hatte, konnte ich nicht ahnen …
… noch nicht …
Kapitel 4
La Gloire Immortelle
A m 3. Oktober 1491 wurde die Welt neu erschaffen, schöner und geheimnisvoller, als ich sie je wahrgenommen hatte. Und wie Gott brachte Giovanni Pico della Mirandola sein Werk auch gleich zur Vollendung – in nur dreizehn Tagen! Dabei ahnte er nicht einmal, was er am Anfang unwissentlich angerichtet hatte.
Die kleine Phiole mit ein paar Tropfen goldschimmernder Flüssigkeit in seiner Hand – für Uneingeweihte sah es aus wie Honig. Für mich aber enthielt sie das große Mysterium, den Sinn meines Lebens. Sie war das Symbol meiner geistigen Pilgerfahrt durch das Leiden, geführt von der Hoffnung und der Sehnsucht nach Liebe, auf der Suche nach mir selbst. Die Reise, die ich an jenem Tag antrat, war die längste, die ein Mensch machen kann: Sie dauerte mein Leben lang und ist noch immer nicht beendet. Es ist ein gefährlicher Weg, der mich meine Unschuld, meine Illusionen, meinen Glauben, meinen Namen und meine Identität kostete. Aber am Ende habe ich das Wertvollste gefunden, was ein Mensch finden kann …
»Heute Abend werden der Bannerträger von Florenz und einige seiner Ratsherren zu Gast sein. Das ist eine wunderbare Gelegenheit für dich, die Signori kennen zu lernen.« Lorenzo hielt inne und beobachtete mich. Als ich schwieg und weiter ins Feuer starrte, fuhr er fort: »Das Bankett zu Ehren des Botschafters von Venedig wird dich auf andere Gedanken bringen, Caterina.«
Erschrocken sah ich ihn an. »Was meinst du?«
»Seit deiner Rückkehr aus Pisa vor einigen Tagen sprichst du kein Wort. Ist etwas geschehen, wovon ich wissen sollte?« Lorenzo sah mir in die Augen, in die Seele. Ich wich ihm aus, wandte den Blick ab.
Schweigend starrte ich auf das Muster des orientalischen Teppichs in Lorenzos Studierzimmer. Ich erinnerte mich an Giovanni Sforzas verletzten Stolz und seine überstürzte Abreise, als ich ihm endgültig zu verstehen gab, dass ich ihn nicht heiraten würde. Und ich dachte an meinen Cousin Gian Giordano Orsini, der nach Giovanni Sforzas Kapitulation und kampflosem Rückzug einen Schlachtplan entwarf, um mein Bett zu erobern. Dass ich seinen Vorstößen seit zwei Tagen erbittert Widerstand leistete, schien ihn nicht zu beunruhigen. Wenn Gian Giordano glaubte …
»Hast du jemanden kennen gelernt?«, unterbrach Lorenzo meine Überlegungen.
… wenn er glaubte, es mit Cesare Borgia aufnehmen zu können, seinem charmanten Lächeln, seinen leidenschaftlichen Küssen, seinen zärtlichen Händen auf meiner Haut …
Ich muss Lorenzo die Wahrheit sagen!, dachte ich.
»Ja, ich habe jemanden kennen gelernt«, sagte ich. »Mich selbst.«
Er wartete ab, was ich ihm zu sagen hatte.
Ich holte tief Luft: »Gianni hält als Kardinal in Pisa Hof wie Seine Heiligkeit persönlich. Fast jeden Tag gibt er ein Bankett für die Signori, den Erzbischof von Pisa und seine Freunde.«
»Er vertritt die Medici und die Republik Florenz«, warf Lorenzo ein. »Und als Kardinal repräsentiert er Rom.«
Wie sollte ich bloß anfangen, wie Lorenzo verständlich machen, was mich seit meinem Besuch in der Sapienza bewegte, erschütterte, aufwühlte? Was in den Tagen seit meiner Rückkehr aus Pisa wie ein unstillbares Feuer in mir loderte, heller und heißer als je zuvor, und mich wie Phoenix zu verbrennen drohte?
»Und das macht Gianni sehr gut«, versicherte ich Lorenzo. »Er disputiert mit seinen Professoren über Philosophie und Theologie, als hätte Angelo ihm ein Buch von Platon in die Wiege gelegt. Er spricht über florentinische Außenpolitik, er …« Ich stockte, begann von vorn. »Während meines Aufenthaltes in Pisa war ich die Prima donna im Palazzo Medici …« O Lorenzo, sieh mich bitte nicht so an! »Es war eine Ehre, Florenz zu vertreten und die für die Medici wichtigen Personen bei Laune zu halten, indem ich mich mit ihnen unterhielt, mit ihnen tanzte und flirtete, aber …«
»Aber …?«, bohrte er nach.
»Es ist nicht das, was ich tun will«, sprudelte es aus mir hervor. »Ich meine: Ich will nicht den Rest meines Lebens mit Botschaftern tanzen, die ihre Hände nicht bei sich behalten können oder mir auf die Füße treten. Ich will mir nicht geduldig die Belanglosigkeiten anhören, die das Leben ihrer Gemahlinnen ausmachen. Ich will auch nicht charmant lächelnd die diplomatischen Fehltritte eines Giovanni Sforza ertragen oder mit Gian Giordano ausreiten, um mir stundenlang
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