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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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ich lehne die dominikanischen Gelübde ab, weil ich dann nicht mehr durch die Welt reisen könnte, wie ich es gewohnt bin, weil ich mir nicht mehr alle Bücher dieser Welt kaufen oder jede Sprache lernen könnte, nach der mir der Sinn steht, um die Texte im Original zu lesen. Alle Texte: die christlichen, muslimischen, jüdischen, gnostischen und kabbalistischen Werke, verfasst von Ketzern auf dem Stuhl Petri und Propheten auf dem Scheiterhaufen.«
    »Und deine Gedanken hast du in den neunhundert Thesen der Conclusiones zusammengefasst.«
    »Woher kennst du dieses Buch?«, fragte Giovanni argwöhnisch. »Alle Exemplare sind verbrannt worden!«
    »Nein, nicht alle! Lorenzo hat ein Exemplar.«
    Giovanni Pico schnappte nach Luft. »Das ist leichtsinnig! Die Conclusiones sind von Papst Innozenz verboten worden. Wenn er herausfindet, dass sein Schwager noch ein Exemplar hat, riskiert Lorenzo erneut den Kirchenbann.«
    »Was ist damals in Rom passiert, Giovanni?«
    Er seufzte und versuchte sich zu erinnern. Mit geschlossenen Augen lehnte er eine Weile schweigend auf seiner Bank, lauschte längst vergessenen Gesprächen, spürte verloren geglaubten Gefühlen nach. Und überlegte, ob er mir überhaupt von all dem erzählen sollte, was damals geschehen war …
    »Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, als ich vor fünf Jahren, im November 1486, voller Hoffnung und Zuversicht in Rom ankam«, begann er schließlich. »Ich hatte die großartige Idee, das von mir zusammengetragene Wissen der Welt mit den größten Gelehrten unserer Zeit zu disputieren, so wie es an den Universitäten oder zwischen den Orden der Franziskaner und Dominikaner üblich ist.
    Ich ließ eine Hand voll meiner neunhundert Thesen drucken und schlug sie an die Kirchenportale in Rom. Das ist die übliche Vorgehensweise bei öffentlichen Disputationen. Die Veröffentlichung meiner Thesen war gleichzeitig eine Einladung an alle Philosophen, Theologen und Gelehrten Europas. Ich erklärte mich bereit, Disputanten, die aus fernen Ländern anreisen wollten, um mit mir zu streiten und mich zu widerlegen, die Kosten für Reise und Unterkunft in Rom zu erstatten.
    Aber nicht einmal die Kardinäle in Rom ließen sich herab, mit mir zu sprechen. Der Termin für den Disput wurde verschoben: von Januar 1487 auf Februar, dann auf März. Und weißt du, warum, Caterina? Nicht wegen der Thesen – die hatten sie nicht einmal gelesen. Wegen meines Alters! Die hohen Herren im Vatikan fürchteten, ihr Ruf als Gelehrte könnte darunter leiden, wenn sie mit einem Dreiundzwanzigjährigen über Theologie und Philosophie stritten. Damit hätten sie ihre eigene Unfehlbarkeit ad absurdum geführt. Aber ich gab nicht auf.«
    »Das hatte ich auch nicht erwartet …«, lächelte ich.
    »Papst Innozenz berief eine Kommission ein, die meine Thesen überprüfen sollte. Endlich!, dachte ich, endlich kann ich disputieren. Irrtum! Die Kardinäle griffen sich dreizehn Thesen heraus und verurteilten sie als ketzerisch. Das war der einzige Weg, mich zum Schweigen zu bringen. Jedes Mal, wenn ich vor die Kommission zitiert wurde, versuchten sie mich zu widerlegen. Jedes Mal mussten sie eine Niederlage einstecken, weil ich mir das Wort nicht verbieten ließ. Aber nicht sie, sondern ich irrte! Per definitionem infallibilitatis. Mit anderen Worten: Basta! Ende der Diskussion!
    Wenn du einen Irrtum zerstören willst, verbrenne das Buch! Oder den Verfasser. Papst Innozenz ließ die Conclusiones verbieten. Innerhalb von zwanzig Tagen verfasste ich eine Verteidigungsschrift, die wenigstens Teile meiner neunhundert Thesen vor der Verdammung retten sollte. Es war zu spät! Ich veröffentlichte die Schrift Ende März, aber die Exkommunikationsbulle war bereits drei Wochen zuvor gesiegelt worden, als der Disput mit den Kardinälen noch nicht beendet war. In Unkenntnis dieser Bulle und des darin enthaltenen Gebotes des Stillschweigens hatte ich die Apologie veröffentlicht. Am 6. Juni 1487 berief Papst Innozenz ein Inquisitionstribunal gegen mich – nicht wegen der angeblich ketzerischen Thesen, sondern weil ich es gewagt hatte, der Kirche zu trotzen und mich zu verteidigen.«
    »O mein Gott!«, flüsterte ich.
    »Ich gab auf, unterwarf mich und unterschrieb am 13. Juli einen Widerruf, um die Exkommunikation aufheben zu lassen. Mein Unglückstag war tatsächlich ein Freitag der Dreizehnte.
    Das Tribunal kam zu dem weisen Schluss, dass alle meine Thesen ketzerisch waren oder Irrtümer enthielten. Die einzige

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