Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
hatte! Das Buch nützt ihm nichts mehr«, triumphierte Giovanni. »Denn der Alambic war verschwunden. Nicht eine Scherbe des Glaskolbens habe ich in den Ruinen gefunden! Bernardo da Treviso hat ihn mitgenommen – mit seinem kostbaren Inhalt – und das Buch hat er liegen gelassen, weil er es nicht mehr benötigt. Das ewige Leben und la gloire immortelle, der unsterbliche Ruhm, sind ihm sicher. Jeder Adept weiß, was sein Aufsehen erregendes Verschwinden zu bedeuten hat. Und jeder Uneingeweihte hält ihn für einen Märtyrer auf der Suche nach der ewigen Wahrheit.«
»Und nun hast du seine Notizen. Und du wirst sie lesen …«
»Worauf du dich verlassen kannst!«
»… und am nächsten Vollmond mit deinem Opus beginnen …«
Er zögerte mit seiner Antwort.
»… und ich werde dir assistieren«, versprach ich.
Es wäre eine Möglichkeit, Lorenzo zu danken, indem ich ihm half, seine Schmerzen zu überwinden. Er hatte so viel für mich getan!
»Nein!« Giovanni schlug energisch das Buch zu, in dem er gelesen hatte, und die Feder kippte aus dem Tintenfass. »Nein, das wirst du nicht tun!«
»Warum nicht?«, fragte ich verzweifelt.
»Weil du nicht studiert hast, Caterina«, erklärte Giovanni geduldig, die Hand auf dem Buch. »Weil dir das nötige Wissen fehlt, um …«
»Ich wusste nicht, dass Alchemie an den Universitäten von Pavia oder Padua gelehrt wird«, unterbrach ich ihn enttäuscht und zornig zugleich.
»Das wird sie auch nicht«, versuchte Giovanni mich zu besänftigen. »Paris ist die Nachfolgerin des antiken Alexandria als Metropolis der Alchemie. Die berühmtesten Magister lehren an der Sorbonne, der Universität von Paris. Die bedeutendsten Adepten haben dort studiert oder sogar doziert. Gerbert d’Aurillac, der später als Papst Silvester II . den Stuhl Petri bestieg – sein Laboratorium stand der Legende nach an der Stelle, wo Papst Sixtus vor zehn Jahren die Sixtinische Kapelle errichten ließ: ein wirklich geweihter Ort. Papst Silvester starb an einer im Vatikan bis dato unerforschten Substanz …«
»Gift?«
»Weisheit!«
Ich lachte, und mein Zorn verrauchte, während Giovanni fortfuhr: »Gerbert d’Aurillac war einer der größten Gelehrten seiner Zeit: Er führte die arabischen Zahlen in Europa ein. Und er fand das al-Iksir. Der Doctor Universalis Albertus Magnus, der das Wissen der Welt in seinem Kopf hatte, und sein Schüler, der Doctor Angelicus Thomas von Aquino, haben ebenso an der Sorbonne studiert und gelehrt wie der Doctor Mirabilis Roger Bacon oder Guillaume d’Auvergne, der Erzbischof von Paris und Erbauer der Kathedrale Notre-Dame de Paris …«
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich verwirrt.
»Weil ich selbst an der Sorbonne studiert habe«, sagte er ruhig und ließ seine Worte in meinen Verstand einsickern.
In diesem Augenblick setzte sich in mir der unmögliche Wunsch fest, eines Tages Vorlesungen in Paris zu hören. Scheinbar unmöglich – und doch nicht undurchführbar. Jedenfalls nicht für mich. Denn ich würde wirklich eines Tages nach Paris reisen und den Worten des unsterblichen Maître Nicolas Flamel lauschen …
»Ich begann mein Studium in Bologna, als ich vierzehn Jahre alt war«, fuhr Giovanni fort. »Ich studierte zwei Jahre lang Kanonisches Recht, weil mein älterer Bruder Galeotto mir den Titel eines Apostolischen Protonotars gekauft hatte. Als ich sechzehn war, legte ich das Examen mit einem summa cum laude ab, aber anstatt mich zum Priester weihen zu lassen, setzte ich mein Studium fort. Ich ging für ein Jahr nach Ferrara, für zwei Jahre nach Padua, für drei weitere Semester nach Pavia und studierte dort alles, was die Professoren lehrten: das Trivium, das Quadrivium, Philosophie und Theologie, Medizin und Naturwissenschaften. In Ferrara lernte ich Angelo kennen und meinen Freund Fra Girolamo.«
»Savonarola und du, ihr seid befreundet?«
»Ja, auch wenn unsere innige Freundschaft Lorenzo verletzt. Girolamo versucht mich bei jedem meiner Besuche in San Marco.«
»Er versucht dich? Du meinst: Wie Satan in der Wüste Jesus?«
Giovanni lachte über meinen Vergleich. »Er bemüht sich, mich zu überreden, endlich doch noch die Gelübde abzulegen und Dominikaner zu werden.«
»Und was sagst du? Vade retro, Satanas – Weiche von mir, Satan!«
»Girolamo als Satan? Die Rolle würde ihm nicht einmal im Karneval stehen, Caterina. Ihn versucht Satan, wenn Girolamo in der Sprache der Menschen und der Engel von der Kanzel herab predigt. Nein,
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