Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
nicht der treffende Ausdruck für das stechende Gefühl in meiner Brust. Ich hatte Angst. Was würde geschehen, wenn Kardinal Rodrigo Borgia auf dem Stuhl Petri saß und Kardinal Ascanio Sforza, der Onkel des von mir zurückgewiesenen Giovanni Sforza, Vizekanzler der Kirche war? Wenn Lorenzo starb, dann würde Piero Regent von Florenz sein – ein aufbrausender, arroganter Neunzehnjähriger. Piero würde Rodrigo Borgia nicht in seinem Sinne beeinflussen können, wie es Lorenzo in den letzten Jahren mit Papst Innozenz getan hatte. Mein Cousin besaß ein unvergleichliches Talent, sich Feinde zu machen. Giulio, der Piero bei seiner Regentschaft helfen sollte, war in Pisa. Und Gianni würde nach Weihnachten als Kardinal nach Rom gehen – ins Konklave. Der Sturz der Medici wäre eine Frage der Zeit … und die drängte.
»Bitte lass mich dir helfen, das Aurum potabile herzustellen und nach dem al-Iksir zu suchen, um Lorenzo das Leben zu retten«, flehte ich Giovanni an.
Er sah, wie ernst es mir war, und trotzdem …
»Ich verspreche dir: Ich werde dich nicht enttäuschen«, kam ich seiner Ablehnung zuvor. »Bitte, Giovanni, gib mir eine Chance!«
Er schüttelte still den Kopf und hatte das Nein schon auf den Lippen, als ich erneut ansetzte:
»Gib mir die Chance, die du in Rom nicht hattest«, verlangte ich.
Giovanni zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen.
»Lass mich dir beweisen, dass ich es kann!«, setzte ich nach. »Trotz meines Alters und ungeachtet der Tatsache, dass ich nicht studiert habe.« Wie denn auch, wenn man mich nicht lässt?, dachte ich bitter.
Schließlich nickte er zögernd: »Unter einer Bedingung, Caterina.«
»Welche?«, fragte ich demütig.
» Quid pro quo! Ein Vergnügen gegen ein anderes«, forderte er.
»Ein … Vergnügen ?«, fragte ich. Was hatte er im Sinn? Wollte er mich verführen, wie Cesare es getan hatte? Unsere Unterhaltung bei Kerzenschein in der nächtlichen Bibliothek wäre der passende Ort für eine Verführung. Nun, das wäre nicht das größte aller Opfer, die ich zu erbringen hätte … denn Cesare war unerreichbar weit entfernt, und Giovanni Pico war mir mehr als nur simpàtico …
»Ich würde gern mit dir über die Conclusiones disputieren. Es wäre mir ein Vergnügen, wenn meine Arbeit nicht völlig vergeblich gewesen wäre. Die Conclusiones enthalten das Wissen, das ich in neun Jahren Studium erworben habe. Wenn du es schaffst, die neunhundert Thesen bis zum nächsten Vollmond zu lesen und zu verstehen, darfst du mir assistieren – der Disput kann dann während unserer Arbeit im Laboratorium stattfinden. Wenn das Examen zu meiner Zufriedenheit verläuft, nehme ich dich als Schülerin auf. Einverstanden?«
Mir stockte der Atem, nicht nur weil die Conclusiones verboten waren und ich, wenn ich sie las, meine Exkommunikation riskierte.
»Es ist …«, begann ich, und beinahe hätte ich gesagt: unmöglich! Aber war es nicht dieses kleine, unsinnige Wort »unmöglich«, das mich an diesem Morgen so erregt hatte? Ich dachte an Cesare und seinen ehrgeizigen Vater: »Nichts ist unmöglich!«, hatte er gesagt. Aber die Aufgabe, die Giovanni mir stellte, war … schwierig.
Ich musste die Conclusiones aus Lorenzos Studierzimmer stehlen, den ganzen Folianten innerhalb der nächsten dreizehn Nächte lesen und verstehen. Dabei durfte ich meine Arbeit in der Bibliothek nicht vernachlässigen, denn sonst würde mir Lorenzo nie wieder eine solche Aufgabe übertragen. Ich würde die dreizehn Tage und Nächte durcharbeiten müssen. Ich würde mit dem Schlaf ringen, mit dem Hunger, mit dem Gewissen und mit dem Zweifel, ob ich es schaffen konnte. Aber ich freute mich darauf. Denn ich wollte es schaffen!
»Ich werde die Conclusiones lesen«, sagte ich entschlossen. »Wir werden deine Thesen diskutieren, während ich dir assistiere. Es ist mir eine Ehre, die Schülerin des größten Gelehrten unserer Zeit zu werden. Das ist für mich la gloire immortelle !«
Leise zog ich die Tür meines Schlafzimmers hinter mir ins Schloss. Dann stand ich bewegungslos in der Loggia und lauschte auf Schritte oder Atemzüge, aber alles blieb still.
Es war die vierte Stunde nach Mitternacht, und endlich war Ruhe in den Palazzo eingekehrt. Das Fest zu Ehren des Botschafters der Republik San Marco war zu Ende gegangen. Einige der Gäste schienen allerdings in ihren Räumen weiterzufeiern – so wie Lorenzo, der kurz nach meiner Rückkehr aus der Bibliothek mit Lucrezia Donati im Arm in
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