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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Alambic. Sie war zähflüssig wie erstarrende Lava und schwarz wie die Nacht. Auf der glatten Oberfläche glänzte das Licht der Kerzen im Laboratorium. Das Leuchten wurde stärker, je länger ich in den Glaskolben starrte. War es eine Sinnestäuschung – mit anderen Worten: Wunschdenken? Oder war dies das Licht, welches das Ende der Mortificatio anzeigte?
    Ich sah mich nach Giovanni um. Er saß zusammengesunken in einem Sessel, die Füße bequem auf dem Tisch, das Buch, in dem er gelesen hatte, noch immer auf den Knien. Er schlief. Kleine Sünden wie eine private Eucharistiefeier in der Weihnachtsnacht vergab Gott eben nicht. Fra Girolamo würde in dieser Heiligen Nacht kein Auge zutun. Die Schmerzen der Geißelung würden ihn noch tagelang quälen …
    Im Alambic hatte das Brodeln trotz der großen Hitze des Athanors aufgehört. Die schwarze Materie lag wie tot am Boden des Glaskolbens. Kein letztes Zucken, nichts! Das Leuchten war erloschen. Ich starrte in den Alambic, aber es gab eigentlich nichts mehr zu sehen, nichts außer einer erstarrten schwarzen Masse.
    Das Experiment schien beendet. Und nun? Resigniert schlafen gehen und am nächsten Morgen von neuem beginnen? Nein, ich würde nicht aufgeben! Ich hatte mir geschworen, so lange gegen das Schicksal zu würfeln, bis mir das Ergebnis gefiel. Und dieses Ergebnis gefiel mir ganz und gar nicht.
    Ich schlich hinüber zu Giovanni und nahm ihm vorsichtig das Buch aus den Händen. Er seufzte und drehte den Kopf, aber er schlief weiter, als ich zum Athanor zurückkehrte.
    »Töte den Drachen!«, hatte Bernardus Trevisanus geschrieben. Ich hatte diese Anweisung an diesem Abend in mein Notizbuch kopiert – sie schien mir wichtig, lebenswichtig! »Töte ihn, bevor er sich mit dir vereinigt!« Wie der Held im Mythos die gefangene Jungfrau aus der Gewalt des Drachens befreit, so erlöst der Alchemist durch die Tötung der Materie den Spiritus mundi aus seiner Gefangenschaft in der Materie. So weit die Theorie.
    Genau das hatte ich getan. Die Materie war tot. Aber was sollte die Andeutung der Vereinigung bedeuten – war es eine körperliche, eine sexuelle Vereinigung: die Coniunctio, oder eine seelische Verbindung? Die Interpretation des kleinen, unscheinbaren Wortes »bevor« machte mir die meisten Schwierigkeiten. Benutzte Bernardo da Treviso das Wort konditional: »Töte ihn, damit er dich nicht tötet – damit du überlebst!« oder temporal: »Töte ihn, damit er sich dann mit dir vereinigen kann, damit die Macht und die Stärke des Drachens auf dich übergehen können! Auf diese Weise kannst du das Aurum potabile durch die Macht deines Willens erschaffen.«
    … oder so ähnlich …
    Enttäuscht klappte ich das Buch zu.
    Jeder Alchemist muss seinen Weg selbst gehen: mit oder ohne seinen Drachen. Mein nächster Weg würde mich in ein weiches Bett führen. Ich wollte nur noch schlafen, ausruhen, an nichts mehr denken, nicht an Lorenzo, dessen unaufhaltsames Leiden nicht nur sein Ende, sondern auch das der ganzen Familie Medici bedeuten konnte, nicht an Cesare, dessen Auftauchen im Palazzo mich zutiefst erschreckt hatte, nicht an Giovanni, dessen körperliche Unnahbarkeit mich verletzte, und vor allem nicht an meine Niederlage gegenüber der Materie, mein Scheitern.
    Die obersten Knöpfe meines Talars hatte ich bereits geöffnet. Als ich mich umwenden wollte, um das Laboratorium zu verlassen, nahm ich aus dem Augenwinkel etwas wahr – den Lichtreflex einer der Kerzen auf dem funkelnden Glas des Alambic?
    Ich trat an den Athanor, so nah, dass mein Talar beinahe Feuer gefangen hätte, so nah, dass ich selbst zu brennen begann.
    Die tote, schwarze Materie im Glaskolben hatte von innen heraus zu leuchten begonnen. Wie glühende Kohlen – aber das Licht war sehr viel heller! Fasziniert starrte ich in den Alambic. Das ist Aurora, die Morgendämmerung, die aus der Schwärze der Nacht aufsteigt, dachte ich. Immer mehr von der schwarzen Masse begann zu verglühen und sich zu verflüssigen …
    »Giovanni!«, flüsterte ich bewegt. »Wir haben es geschafft …«
    Er hörte mich nicht.
    Nur mühsam konnte ich mich von der Transformation im Glaskolben losreißen. Ich eilte zu Giovanni und rüttelte ihn wach: »Wir haben es geschafft!«
    Ungeduldig ergriff ich seine Hand und zog ihn aus dem Sessel hoch. Er folgte mir ein wenig benommen und schien noch nicht Herr seiner Sinne. Dann stand er neben mir und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das Glühen im Alambic.
    »Ich

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