Die Kartause von Parma
Ministers des Inneren, zu äußern gewagt, er hielte diese ganze Belanglosigkeit als zu Ihren Ungunsten bewiesen und sprach von der ›Ermordung‹ des unglücklichen Giletti. Ich habe ihn zu mir kommen lassen und in Gegenwart meiner drei anderen Großvikare, meines Almoseniers und zweier Pfarrer, die gerade im Vorzimmer warteten, um die Erklärung ersucht, worauf sich seine Überzeugung von der Schuld seines Amtsgenossen an der Kathedrale stütze. Der Unselige vermochte nur wenig stichhaltige Gründe herzustammeln. Alle Anwesenden waren empört über ihn, und obwohl ich ihm nur ein paar kurze Worte sagen zu müssen glaubte, brach er in Tränen aus und legte vor uns ein volles Geständnis seinestiefen Irrtums ab. Darauf sicherte ich ihm in meinem wie in aller Anwesenden Namen Stillschweigen über diese Unterredung zu, aber unter der Bedingung, daß er alles aufböte, um die falschen Gerüchte zu entkräften, die seit vierzehn Tagen durch seine Äußerungen in Umlauf seien.
Ich will Ihnen, mein lieber Sohn, keineswegs wiederholen, was Sie sicherlich längst wissen, zum Beispiel, daß von den vierunddreißig Bauern, die vom Grafen Mosca bei den Ausgrabungen angestellt waren und von denen die Raversi behauptet, sie seien von Ihnen zur Beihilfe an einem Verbrechen besoldet worden, zweiunddreißig unten im Graben in ihre Arbeit vertieft waren, als Sie den Hirschfänger in die Hände bekamen und ihn aus Notwehr gegen den Menschen gebrauchten, der Sie so unversehens angegriffen hatte. Zwei Bauern, die gerade nicht im Graben waren, haben den anderen zugerufen: ›Man mordet den Monsignore!‹ Dieser Ruf allein beweist sonnenklar Ihre Schuldlosigkeit. Nun aber behauptet der Gerichtspräsident Rassi, diese beiden Männer seien verschwunden. Mehr noch, man hat acht von denen verhört, die im Graben gearbeitet haben. Von ihnen haben sechs beim ersten Verhör ausgesagt, sie hätten den Ruf: ›Man mordet den Monsignore!‹ gehört. Ich habe auf Umwegen festgestellt, daß sie beim fünften Verhör, das gestern abend stattgefunden hat, bis auf einen ausgesagt haben, sie könnten sich nicht besinnen, ob sie den Ruf selbst gehört hätten oder ob das nur von einem ihrer Kameraden erzählt worden wäre. Ich habe angeordnet, den Aufenthaltsort dieser Erdarbeiter zu ermitteln; ihre Beichtväter werden ihnen dann ins Gewissen reden, daß sie sich die Verdammnis zuziehen, wenn sie sich für ein paar Taler zu falschem Zeugnis verleiten lassen.‹
Der gute Erzbischof verlor sich in endlose Einzelheiten, wie man aus dem Angeführten bereits ersehen kann. Dann fuhr er in lateinischer Sprache fort: ›Die ganze Geschichte ist nur ein Versuch, das Ministerium zu stürzen.Falls Sie verurteilt würden, könnte es nur zu Zuchthaus oder zum Tode sein. Ich würde von meinem bischöflichen Stuhl herab dagegen Einspruch erheben und erklären, ich wüßte, daß Sie unschuldig seien, daß Sie ganz einfach Ihr Leben gegen einen Briganten verteidigt hätten, und schließlich, daß ich Ihnen verboten hätte, nach Parma zurückzukehren, solange Ihre Feinde die Oberhand hätten. Ich bin sogar gewillt, den Großfiskal verdientermaßen an den Pranger zu stellen. Man haßt diesen Menschen allgemein; niemand schätzt seinen Charakter. Ferner würde am Tage, bevor der Großfiskal dieses so ungerechte Urteil ausspräche, die Duchezza Sanseverina die Stadt und vielleicht gar die Lande Parmas verlassen. Selbstverständlich reichte dann der Graf Mosca sofort seine Entlassung ein. Höchstwahrscheinlich käme dann der General Fabio in das Ministerium, und die Marchesa Raversi würde triumphieren. Das Schlimmste an Ihrer Sache ist, daß man keinen geeigneten Mann damit beauftragt hat, die nötigen Untersuchungen zum Beweise Ihrer Schuldlosigkeit anzustellen und die Bestechungsversuche an den Zeugen zu enthüllen. Graf Mosca denkt, er tue das, aber er ist viel zu sehr Grandseigneur, sich zu gewissen Kleinigkeiten herabzulassen. Zudem hat er in seiner Eigenschaft als Polizeiminister im ersten Augenblick die strengsten Maßregeln gegen Sie ergreifen müssen. Kurzum, – darf ich es sagen? Serenissimus hält Sie für schuldig, zum mindesten trägt er diesen Glauben zur Schau, wodurch sich die Sache noch mehr zuspitzt.‹
Die Worte von ›Serenissimus‹ bis ›zur Schau‹ waren in griechischen Buchstaben geschrieben, und Fabrizzio empfand eine grenzenlose Dankbarkeit, weil der Erzbischof sie zu schreiben gewagt hatte. Er schnitt diese Stelle mit einer Schere aus und
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