Die Kartause von Parma
Schuppen fiel es von Fabrizzios Augen. Die zahlreichen Briefe der Duchezza, übervoll von innigster Freundschaft, hatten davon kein Wort erwähnt. Die Duchezza schwor ihm, sie wolle Parma auf immer verlassen, wenn er nicht bald im Triumph wiederkehren könne. ›Der Graf will alles für Dich tun, was menschenmöglich ist‹, schrieb sie in dem Briefe, der gleichzeitig mit dem des Erzbischofs ankam. ›Was mich betrifft, so hast Du durch diesen schönen Streich meinen Charakter umgewandelt. Ich bin jetzt genau so geizig wie der Bankier Torlonia. Ich habe alle meine Arbeiter weggeschickt; mehr noch, ich habe dem Grafen eine Aufnahme meines Vermögens diktiert, wobei es sich herausgestellt hat, daß es viel unbedeutender ist, als ich gedacht hatte. Beim Tode des trefflichen Grafen Pietranera, den Du übrigens viel lieber hättest rächen sollen, als daß Du Dich eines Menschen vom Schlage Gilettis wegen in Gefahren stürztest, sind mir zwölfhundert Lire Pension und fünftausend Franken Schulden verblieben. Ich erinnere mich unter anderem, daß zweieinhalb Dutzend weiße Pariser Atlasschuhe da waren und nur ein einziges Paar Straßenstiefel.Ich habe große Lust, die dreihunderttausend Franken, die mir der Duca vermacht hat und die ich zur Errichtung eines großartigen Grabmals für ihn verwenden wollte, für mich zu nehmen. Übrigens ist die Marchesa Raversi Deine Erzfeindin, weil sie die meine ist. Wenn Du Dich in Bologna langweilst, brauchst Du nur ein Wort zu schreiben, und ich komme zu Dir. Anbei vier weitere Schecks‹, und so weiter.
Die Duchezza erwähnte mit keinem Wort, wie man seine Angelegenheit in Parma auffaßte; sie wollte ihn vor allem trösten, und überdies erschien ihr der Tod einer so lächerlichen Person wie Giletti zu geringfügig, einem del Dongo einen ernstlichen Vorwurf daraus zu machen. »Wieviel Gilettis haben unsere Vorfahren in das Jenseits befördert,« sagte sie einmal zum Grafen, »ohne daß ein Hahn danach gekräht hat!«
Fabrizzio, dem zum ersten Male eine Ahnung über den wahren Stand der Dinge aufging, war arg betroffen und vertiefte sich in den Brief des Erzbischofs. Unglücklicherweise hielt ihn der Prälat für besser im Bilde, als er es wirklich war. Fabrizzio begriff, daß die Marchesa Raversi besonders deshalb frohlockte, weil es unmöglich war, Augenzeugen jenes unseligen Zweikampfes aufzufinden. Die kleine Marietta und die alte Mammaccia waren spurlos verschwunden. Der Kutscher, der die drei gefahren hatte, war von der Marchesa bestochen worden und hatte daraufhin eine schändliche Aussage gemacht.
›Obgleich die gerichtliche Untersuchung in tiefster Heimlichkeit geführt wird‹, schrieb der gute Erzbischof in seinem ciceronianischen Stil, ›und in den Händen des Großfiskals Rassi liegt, über den Schlechtes zu sagen mich lediglich die christliche Nächstenliebe abhält, der aber sein Glück gemacht hat, indem er hinter unglücklichen Angeklagten her war wie ein Jagdhund hinter dem Hasen, obgleich dieser Rassi, sage ich, dessen Schändlichkeit und Bestechlichkeit Ihre Phantasie sich nicht schlimm genug ausmalen kann, durch den aufgebrachten Fürsten mit derFührung des Prozesses beauftragt ist, habe ich doch die drei Aussagen des Kutschers zu Gesicht bekommen. Zum größten Glück hat sich dieser Unselige widersprochen. Und ich will hinzufügen, weil ich zu meinem Großvikar spreche, zu dem, der nach mir der Oberhirt dieser Diözese werden soll, daß ich den Pfarrer des Sprengels, dem dieser verirrte Sünder angehört, ins Gebet genommen habe. Ich will Ihnen sagen, mein heißgeliebter Sohn, aber unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses, daß dieser Pfarrer durch die Frau des Kutschers bereits weiß, wieviel Taler er von der Marchesa Raversi erhalten hat. Ich wage nicht zu behaupten, die Marchesa habe von ihm verlangt, Sie zu verdächtigen, aber wahrscheinlich ist es so. Das Geld ist ihm durch einen unglücklichen Priester ausgehändigt worden, der bei dieser Marchesa eine wenig ehrenvolle Rolle spielt und dem ich bereits zum zweiten Male das Messelesen verbieten mußte. Ich will Sie nicht mit der Aufzählung einiger weiterer Schritte ermüden, die Sie von mir erwarten mußten und die überdies zu meinen Pflichten gehören. Ein Kanonikus, Ihr Amtsgenosse an der Kathedrale, der sich übrigens allzuoft des Einflusses erinnert, den ihm das Vermögen seiner Familie gewährt, deren einziger Erbe er durch Gottes Ratschluß geblieben ist, hat im Hause des Grafen Zurla, des
Weitere Kostenlose Bücher