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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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auf keinen Fall gehen. Gehen wir in die Wohnung! Die Wirtin wird Ihnen das Frühstück holen. Sie wird Sie um ein paar Groschen prellen, dafür aber dem neuen Mieter um so geneigter sein.«
    »Das heißt mit anderen Worten, daß ich eine volle Stunde länger hungern soll«, sagte Fabrizzio und lachte heiterwie ein Kind. Er trat in eine Kneipe neben San Petronio. Zu seinem höchsten Erstaunen bemerkte er am Nebentisch Peppo, den ersten Kammerdiener seiner Tante, denselben, der ihm einst bis Genf entgegengekommen war. Fabrizzio machte ihm ein Zeichen, zu schweigen. Dann, nach einem hastigen Frühstück, bei dem ihm das Lächeln des Glücks um die Lippen spielte, stand er auf. Peppo folgte ihm, und zum dritten Male betrat unser Held die Kirche San Petronio. Taktvoll blieb Ludovico draußen und wandelte auf dem Platz auf und ab.
    »O mein Gott, Monsignore! Was machen Ihre Wunden? Die Frau Duchezza ist in fürchterlicher Unruhe. Einen ganzen Tag hat sie geglaubt, Sie seien tot, umgekommen auf irgendeiner Po-Insel. Ich will gleich einen Eilboten absenden. Ich suche Sie seit sechs Tagen. Drei war ich in Ferrara, wo ich alle Gasthäuser abgesucht habe.«
    »Haben Sie einen Paß für mich?«
    »Drei verschiedene: einen mit dem vollen Namen und allen Titeln Eurer Exzellenz, einen nur mit dem Namen und den dritten mit einem falschen Namen, Giuseppe Bossi. Alle drei sind so ausgestellt, daß Eccellenza nach Belieben von Florenz oder Modena her eintreffen können. Sie brauchen nur einen Ausflug in die Umgebung der Stadt zu machen. Der Herr Graf sähe es gern, wenn Sie im Albergo del Pellegrino absteigen wollten. Der Wirt ist sein Freund.«
    Fabrizzio tat, als ginge er aufs Geratewohl, und schritt im rechten Seitenschiff bis an die Stelle, wo seine Kerzen brannten. Seine Blicke hefteten sich auf die Madonna von Cimabue. Indem er niederkniete, sagte er zu Peppo: »Ich muß schnell ein Dankgebet sprechen.«
    Peppo tat desgleichen. Beim Verlassen der Kirche bemerkte er, daß Fabrizzio dem ersten Armen, der ihn anbettelte, ein Zwanzigfrankenstück gab. Der Bettler stieß vor Überraschung einen Schrei aus, was dem mildtätigen Geber Schwärme von Bettlern aller Art, wie sie gewöhnlich die Piazza San Petronio zieren, auf den Hals hetzte.Alle wollten ihr Teil an dem Napoleon haben. Die Weiber, die keine Aussicht hatten, sich durchzudrängen, stürzten auf Fabrizzio zu und schrieen auf ihn ein, ob er wirklich nicht gewollt habe, daß sein Napoleon unter sämtliche Arme des lieben Gottes verteilt werde. Peppo schwang seinen Rohrstock mit goldenem Knauf und gebot ihnen, Seine Exzellenz in Ruhe zu lassen.
    »Ah, Eccellenza,« fingen alle diese Weiber in noch gellenderer Tonart an, »Eccellenza, geben Sie auch für die armen Frauen einen Napoleondor!«
    Fabrizzio verdoppelte seine Schritte; die Weiber folgten ihm schreiend. Dazu kam eine Menge Bettler, die aus allen Straßen herbeieilten. Es entstand ein Auflauf. Dieser ganze entsetzlich schmutzige und hartnäckige Volkshaufe schrie in einem fort: »Eccellenza!« Fabrizzio hatte viel Mühe, die Rotte los zu werden. Der Vorfall rief seine Phantasie zur Erde zurück. ›Ich verdiene es nicht anders‹, sagte er sich. ›Ich habe mich mit der Canaille abgegeben.‹
    Zwei Weiber verfolgten ihn bis zur Porta di Saragozza, durch die er die Stadt verließ. Peppo hielt sie zurück, indem er ihnen ernstlich mit seinem Stock drohte und ihnen ein paar Münzen hinwarf. Fabrizzio erstieg den reizenden Hügel von San Michele in Bosco, umwanderte einen Teil der Stadt außerhalb der Umwallung, schlug einen Fußweg ein und erreichte fünfhundert Schritt vor der Stadt die große Straße nach Florenz. Auf ihr ging er dann nach Bologna zurück. Feierlich übergab er dem Polizeibeamten den einen Paß, auf dem er in genauester Weise beschrieben war. Dieser Paß nannte ihn Giuseppe Bossi, Student der Theologie. Unten in der rechten Ecke des Papiers entdeckte Fabrizzio einen winzigen roten Tintenklecks, wie zufällig daraufgespritzt. Zwei Stunden später folgte ihm auf Schritt und Tritt ein Spitzel. Daran war der Titel Eccellenza schuld, mit dem ihn sein Gefährte vor den Bettlern von San Petronio angeredet hatte, wo doch sein Paß keinen Stand angab, der ihm die Berechtigunggegeben hätte, sich von seiner Dienerschaft mit Eccellenza anreden zu lassen.
    Fabrizzio bemerkte den Spitzel und belustigte sich höchlichst darüber. Er dachte nicht mehr an Pässe und Polizei und ergötzte sich an allem wie ein Kind.

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