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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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geopfert hatten, ihn am Gängelband zu führen wähnten. Solchem Vorhaben gegenüber hatte er unverzüglich und auf empörende Art einen Bruch herbeigeführt. ›Also,‹ schloß er, ›wenn mich der zweifellos sehr lebhafte Genuß, mit jenem hübschen Weibe, der sogenannten Duchezza Sanseverina, gut zu stehen, niemals hingerissen hat, so gleiche ich auf ein Haar jenem leichtsinnigen Franzosen, der eines Tages die Henne mit den goldenen Eiern getötet hat. Gerade der Duchezza verdanke ich das einzige Glück, das ich je durch zärtliche Empfindungen erfahren habe. Meine Freundschaft zu ihr ist mein Leben, und überdies, was wäre ich ohne sie? Ein armer Geächteter, gezwungen, mein Leben in einem baufälligenSchlosse bei Novara zu fristen. Ich erinnere mich, während der langen Herbstregen mußte ich abends, um nicht naß zu werden, noch einen Regenschirm an meinem Betthimmel anbringen. Ich ritt die Pferde des Verwalters, der dies wohl aus Achtung vor meinem blauen Blut duldete, aber mein Aufenthalt deuchte ihn schon zu lang. Mein Vater hatte mir ein Jahresgeld von zwölfhundert Franken ausgesetzt, kam sich dabei aber wie ein der Hölle Verfallener vor, weil er einem Jakobiner das tägliche Brot gewährte. Meine arme Mutter und meine Schwestern darbten es sich an ihren Kleidern ab, um mich in den Stand zu setzen, meinen Geliebten kleine Geschenke zu machen. Diese Art Edelmut durchbohrte mir das Herz. Obendrein begann man mein Elend zu durchschauen; die jungen Edelleute der Umgegend bemitleideten mich bereits. Früher oder später hätte sich einer dieser Gecken seine Verachtung für einen armen entgleisten Jakobiner merken lassen, denn in ihren Augen war ich nichts anderes. Ich hätte einen gut sitzenden Degenstoß versetzt oder bekommen und wäre dann in die Festung Fenestrella gesteckt worden oder hätte mich wieder nach der Schweiz geflüchtet, und das alles mit zwölfhundert Franken Jahresgeld. Daß ich vor all dem Elend bewahrt geblieben bin, danke ich zum Glück der Duchezza. Überdies hegt sie zu mir eine leidenschaftliche Freundschaft, und ich sollte doch Gleiches mit Gleichem vergelten.
    An Stelle dieses lächerlichen und erbärmlichen Lebens, das mich zum traurigen Tier, zum Narren machte, lebe ich seit vier Jahren in einer Hauptstadt und führe ein vornehmes Dasein, das mich davor schützt, den Neid und die niedrigen Gefühle der Provinzler kennen zu lernen. Meine allzu liebenswerte Tante schilt mich immer aus, ich holte mir nicht genügend Geld vom Bankier. Soll ich mir diese herrliche Lebenslage auf ewig verscherzen? Soll ich die einzige Freundin verlieren, die ich in der Welt habe? Ich brauche nur eine Lüge auszusprechen, ich brauche nur einer reizenden Frau, die vielleicht aufErden nicht ihresgleichen hat und für die ich die leidenschaftlichste Freundschaft hege, zu sagen: ›Ich liebe dich!‹ Ich, der ich nicht weiß, was Lieben aus Liebe ist –. Sie würde es mir ewig als Verbrechen vorwerfen, daß diese leidenschaftlichen Wallungen mir unbekannt sind. Im Gegensatz dazu glaubt Marietta, die mir nicht ins Herz sieht und Liebkosungen für Seelenwallungen nimmt, ich sei toll in sie verliebt, und hält sich für die Glücklichste aller Frauen.
    Etwas von jener zärtlichen Befangenheit, die man wohl Liebe nennt, habe ich nur einmal wirklich empfunden; das war für das junge Ännchen im Gasthof von Zoonders an der belgischen Grenze.‹
    Bedauerlicherweise muß hier eine der schändlichsten Missetaten Fabrizzios ihren Platz finden. Mitten in diesem friedsamen Leben traf sein der Liebe so widerspenstiges Herz ein elender Stachel der Eitelkeit und trieb ihn recht weit vom Wege ab.
    In Bologna gastierte gerade die berühmte Fausta F. , ohne Zweifel eine der ersten Sängerinnen ihrer Zeit und vielleicht die launenhafteste Frau, die es geben kann.  [Die Episode der Fausta hat Stendhal einer alten italienischen Chronik entlehnt. Der Codex italianus 171 der Pariser Nationalbibliothek, der aus Stendhals Nachlaß stammt, enthält unter anderem:  Racheakt des Kardinals Aldobrandini an Girolamo Langobardi, römischem Edelmann.  Folgende charakteristische Parallelstellen seien hier wiedergegeben: ›... Es gab damals in Rom eine gewisse Anna Felicia Brocchi, eine Sängerin von hohem Rufe, deren süße Stimme und musikalische Begabung sich mit übernatürlicher Schönheit paarten... Sie wurde von Langobardi ausgehalten, der mit ängstlicher Eifersucht über sie wachte... Durch die Lobreden seines ganzen Hofes

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