Die Kartause von Parma
einzugehen begann. »Ich könnte auf der Stelle mit diesem Weibe abreisen!« sagte sich der Graf. »Aber wozu? In Bologna bin ich vor del Dongo ausgerissen. Hier soll ich vor einem Prinzen weichen? Dieser junge Mann bildet sich dann wer weiß was ein! Etwa gar, er habe mir Angst eingejagt! Beim Teufel, ich stamme aus einem ebenso guten Hause wie er!«
Martinengo war wütend, und sein Unglück erreichte dadurch sein volles Maß, daß er sich in Gegenwart Faustas, die zu spötteln liebte, nicht durch Eifersucht lächerlich machen durfte.
Am Stephanstag also verbrachte er vormittags eine Stunde bei ihr; sie empfing ihn mit einer Liebenswürdigkeit, die ihn der Inbegriff aller Falschheit deuchte. Gegen elf Uhr trennte er sich von ihr, um sich zur Messe in der Kirche San Giovanni umzukleiden. Martinengo ging nach Hause, zog ein schäbiges schwarzes Seminaristenröckchen an und rannte nach San Giovanni. Er suchte sich einen Platz hinter einem der Grabmäler aus, die die dritte Kapelle im rechten Seitenschiff zieren; von dort konnte er alles beobachten, was in der Kirche vorging, unter dem Arm eines Kardinals weg, der auf dem Grabmal knieend dargestellt war. Dieses Standbild verdunkelte die Kapelle und verbarg ihn hinlänglich. Nach einer Weile erschien Fausta, schöner denn je. Sie kam im Gesellschaftskleid; um sie herum ein Schwarm von zwanzig Verehrern aus dem Hofkreise. Aus ihren Augen und um ihren Mund lachte sonnige Freude. »Es ist klar,« sagte sich der unglückliche Eifersüchtige, »sie rechnet darauf, hier ihren Liebsten zu treffen, den sie dank meinen Maßregeln vielleicht lange nicht hat sehen können.«
Mit einem Male strahlten Faustas Augen in verdoppeltem Glänze. »Mein Nebenbuhler ist da!« sagte sich Martinengo, und seine eitle Wut ward grenzenlos. »Was für eine Rolle spiele ich hier als Gegenstück zu einem verkleideten Prinzen!« Aber soviel Mühe er sich geben mochte, es gelang ihm nicht, den Nebenbuhler zu entdecken, den seine gierigen Blicke überall suchten.
Jedesmal, wenn Fausta ihre Blicke durch die ganze Kirche schweifen ließ, blieben sie schließlich immer voll Liebe und Glück an dem dunklen Winkel hängen, wo sich Martinengo verborgen hielt. Ein leidenschaftliches Herz wird durch die Liebe dazu verleitet, die leisesten Wahrnehmungen zu übertreiben und die lächerlichstenFolgerungen daraus zu ziehen. Der arme Martinengo redete sich zuletzt wirklich ein, Fausta habe ihn trotz seinen Bemühungen entdeckt und wolle ihm seine tödliche Eifersucht mit diesen zärtlichen Blicken vorwerfen und ihn gleichzeitig trösten.
Das Grabmal des Kardinals, hinter dem Martinengo seinen Beobachtungsposten inne hatte, erhob sich vier bis fünf Fuß über die Marmorfliesen der Kirche. Der Modegottesdienst war gegen ein Uhr zu Ende; der größte Teil der Gläubigen ging weg, und Fausta entließ die Dandys der Stadt unter dem Vorwand, eine stille Andacht verrichten zu wollen. Sie verharrte in knieender Stellung vor ihrem Sitz, während ihre Augen noch zärtlicher und strahlender unverwandt auf Martinengo blickten. Als kein Mensch mehr in der Kirche war, gaben sich ihre Augen nicht mehr die Mühe, erst in der ganzen Kirche umherzuschweifen, ehe sie glückselig am Standbilde des Kardinals haften blieben. »Welches Zartgefühl!« sagte sich der Graf, im Wahn, daß diese Blicke ihm galten. Endlich stand Fausta auf und schritt hastig zur Kirche hinaus, nachdem sie mit den Händen ein paar seltsame Bewegungen gemacht hatte.
Liebestoll und seiner verrückten Eifersucht fast ledig, verließ Martinengo seinen Platz, um nach dem Palast seiner Favoritin zu eilen und ihr tausend- und aber tausendmal zu danken; da gewahrte er beim Umgehen des Grabmals einen ganz schwarz gekleideten jungen Herrn. Diese Trauergestalt hatte bisher dicht am Grabmal gekniet, und zwar so, daß die Blicke des eifersüchtigen Suchers über seinen Kopf hinweggegangen waren, ohne ihn im geringsten gewahren zu können.
Der junge Mann erhob sich und eilte davon. Im Nu umringten ihn sieben bis acht handfeste Männer von verdächtigem Aussehen, die offenbar zu ihm gehörten. Der Graf beschleunigte seine Schritte, wurde aber in der Windfangtür des Ausganges scheinbar zufällig von den handfesten Männern aufgehalten. Als er endlich hinterihnen auf die Straße gelangte, sah er nichts weiter als die geschlossene Tür einer Kutsche von dürftigem Aussehen, vor die in wunderlichem Widerspruch zwei prächtige Pferde gespannt waren. Einen Augenblick
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