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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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später war der Wagen außer Sehweite.
    Wutschnaubend ging er nach Hause. Alsbald kamen seine Aufpasser, die ihm herzlos berichteten, der geheimnisvolle Verliebte habe heute, als Priester verkleidet, sehr andächtig dicht an einem Grabmal, am Eingang zu einer dunklen Kapelle, in der Kirche San Giovanni gekniet. Fausta sei in der Kirche geblieben, bis sie fast ganz leer geworden sei, und habe dann rasch ein gewisses Zeichen mit dem Unbekannten gewechselt. Mit den Händen habe sie so etwas wie Kreuze geschlagen.
    Der Graf eilte zu der Treulosen. Zum ersten Male gelang es ihr nicht, ihre Unruhe zu verbergen. Sie erzählte mit der verlogenen Einfalt einer leidenschaftlichen Frau, sie sei ihrer Gewohnheit gemäß in die Kirche San Giovanni gegangen, habe aber den Menschen, der sie immer verfolge, dort nicht bemerkt. Außer sich über diese Worte, schmähte sie der Graf, sie sei das verworfenste Geschöpf, und sagte ihr alles, was er mit eigenen Augen beobachtet hatte. Je heftiger seine Vorwürfe wurden, um so mehr wuchs die Kühnheit der Lügnerin. Er zog seinen Dolch und stürzte auf sie los. Kaltblütig entgegnete ihm Fausta: »Gut! Alles, worüber Sie sich beklagen, ist reine Wahrheit; ich habe jedoch versucht, es vor Ihnen geheim zu halten, um Ihr Liebesfeuer nicht in eine sinnlose Rachsucht zu verwandeln, die uns alle beide verderben könnte. Denn, verstehen Sie wohl, meiner Mutmaßung nach ist der Mann, der mich mit seinen Aufmerksamkeiten verfolgt, einer von denen, deren Willen kein Hindernis kennt, am wenigsten in diesem Staate.«
    Nachdem sie dem Grafen sehr geschickt nahegelegt hatte, daß er gar kein Recht auf sie habe, schloß sie mit der Erklärung, sie ginge wahrscheinlich nicht wieder in die Kirche San Giovanni.
    Martinengo war kopflos verliebt. Ein bißchen Schöntun, im Verein mit der Klugheit im Herzen des jungen Weibes, beschwichtigte ihn. Erst dachte er daran, Parma zu verlassen; der junge Prinz konnte ihm, so mächtig er sein mochte, nicht folgen, oder wenn er es täte, wäre er nur noch seinesgleichen. Aber der Stolz flüsterte ihm von neuem ein, daß eine solche Abreise immer wie eine Flucht aussähe, und diesen Gedanken wehrte Graf Martinengo ab.
    »Er hat keine Ahnung davon, daß mein kleiner Fabrizzio hier ist!« frohlockte die Sängerin. »Jetzt können wir uns in der köstlichsten Weise über ihn lustig machen!«
    Fabrizzio ahnte sein Glück nicht. Als er am anderen Morgen die Fenster der Sängerin sorglich verhängt fand und keine Spur von ihr wahrnahm, begann ihm der Spaß langweilig zu werden. Er verspürte Reue. »In welche Lage habe ich den armen Grafen Mosca in seiner Eigenschaft als Polizeiminister gebracht! Man wird ihn für meinen Spießgesellen halten, und am Ende bin ich nur in dieses Land gekommen, daß ich die Ursache seines Sturzes werde. Gebe ich anderseits eine so weit gediehene Sache auf, was wird die Duchezza sagen, wenn ich ihr meine Liebesfahrten erzähle?«
    Eines Abends, als er, so mit sich hadernd und nahe daran, die Flinte ins Korn zu werfen, unter den großen Bäumen zwischen Faustas Palazzo und der Zitadelle umherschlich, bemerkte er, daß er von einem Aufpasser von recht schmächtiger Gestalt verfolgt wurde. Vergeblich bog er in mehrere Straßen ein, um sich seiner zu entledigen; der Knirps schien an seine Fersen gebannt. Ärgerlich lief er in eine abgelegene Gasse am Ufer der Parma, wo seine Leute im Hinterhalt standen. Auf sein Zeichen fielen sie über den armen kleinen Spitzel her, der sich ihnen zu Füßen warf: es war Bettina, Faustas Kammerzofe. Nach drei Tagen des Mißvergnügens, die Fausta hinter verschlossenen Türen zugebracht hatte, war Bettina in Männerkleidern entschlüpft, um dem Dolchedes Grafen Martinengo zu entgehen, vor dem sie ebenso wie ihre Herrin eine Heidenangst hatte. Sie wollte Fabrizzio wissen lassen, daß man ihn leidenschaftlich liebe und in Sehnsucht nach ihm vergehe; nur in die Kirche San Giovanni könne man nicht mehr kommen.
    »Es war Zeit!« sagte sich Fabrizzio. »Es lebe die Ausdauer!«
    Die kleine Kammerzofe war sehr hübsch, was Fabrizzio seinen moralischen Gedanken entriß. Sie teilte ihm mit, daß die Promenade und alle Straßen, durch die er gegangen sei, diesen Abend durch Martinengos Spitzel sorgsam beobachtet worden seien, ohne daß er es bemerkt habe. Man habe Zimmer in verschiedenen Erdgeschossen und ersten Stockwerken gemietet; hinter Vorhängen und bei tiefem Schweigen beobachte man alles, was auf der so unbelebt

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