Die Kartause von Parma
eilte in das Aufnahmezimmer, um flüchtig nachzusehen, worum es sich handle. Er war nicht wenig überrascht, als er denGefangenen erkannte, der während der langen Fahrt durch die Fesseln ganz steif geworden war. Vier Gendarmen hatten ihn aus seinem Wagen gehoben und in die Kanzlei geschleppt. ›Jetzt habe ich diesen berüchtigten Fabrizzio del Dongo in meiner Gewalt,‹ sagte sich der eitle Kommandant, ›ihn, der seit Jahresfrist den Hauptgesprächsstoff der Hofgesellschaft von Parma bildet!‹
Zwanzigmal war der General ihm bei Hofe, im Hause der Duchezza und sonstwo begegnet, aber es fiel ihm nicht ein, sich anmerken zu lassen, daß er ihn kannte. Er hatte Angst, sich Unannehmlichkeiten zu bereiten.
»Daß Ihr mir einen genauen Bericht aufsetzt«, befahl er dem Gefängnisschreiber, »über die Auslieferung dieses Häftlings durch den löblichen Podesta von Castelnuovo!«
Barbone, der Schreiber, eine wegen seines gewaltigen Bartes und seines rauhen Auftretens gefürchtete Person, nahm eine noch wichtigere Miene als gewöhnlich an, sozusagen die eines deutschen Kerkermeisters. Da seiner Meinung nach hauptsächlich die Duchezza di Sanseverina die Schuld daran trug, daß sein Vorgesetzter, der Kommandant, nicht Kriegsminister geworden war, so benahm er sich gegen den Gefangenen um so unverschämter. Er redete ihn mit Ihr an, wie man in Italien nur mit Dienstboten zu sprechen pflegt.
»Ich bin Prälat der heiligen römischen Kirche«, antwortete ihm Fabrizzio trotzig, »und Großvikar dieser Diözese. Allein meine Geburt gewährt mir ein Recht auf rücksichtsvolle Behandlung.«
»Davon weiß ich nichts!« entgegnete der Schreiber frech.
»Beweist Eure Behauptungen durch Urkunden, die Euch zu diesen hochehrenwerten Titeln berechtigen.«
Fabrizzio hatte keinerlei Papiere bei sich und antwortete nicht. Der General Fabio Conti, der hochmütig neben seinem Schreiber stand, sah auf die Niederschrift, ohne dem Gefangenen einen Blick zu gönnen. Er wollte nichtgern bestätigen, daß es wirklich Fabrizzio del Dongo war.
Clelia Conti, die im Wagen wartete, vernahm plötzlich einen schrecklichen Lärm im Amtszimmer. Der Schreiber Barbone hatte eine unverschämte und umständliche Beschreibung des Gefangenen aufgenommen und ihm befohlen, seinen Anzug aufzuknöpfen, damit man die Anzahl und den Zustand der bei dem Auftritt mit Giletti empfangenen Wunden untersuchen und feststellen könne.
»Das kann ich nicht«, sagte Fabrizzio mit höhnischem Lächeln. »Ich bin nicht imstande, den Befehlen des Herrn zu gehorchen. Die Handschellen hindern mich daran!«
»Was,« rief der General in unschuldigem Tone, »der Gefangene hat Handschellen? Innerhalb der Zitadelle? Das ist gegen die Ordnung! Es bedürfte eines besonderen Befehls dazu. Nehmen Sie ihm die Handschellen ab!«
Fabrizzio blickte ihn an. ›Ein spaßiger Jesuit!‹ dachte er. ›Seit einer Stunde sieht er mich mit diesen Handschellen, die mich gräßlich belästigen, und jetzt spielt er den Erstaunten!‹
Die Handschellen wurden ihm von den Gendarmen abgenommen; sie hatten erfahren, daß Fabrizzio der Neffe der Duchezza di Sanseverina war, und beeilten sich, ihn auf das allerhöflichste zu behandeln, was von der Grobheit des Schreibers auffällig abstach. Darüber sichtlich ergrimmt, fuhr dieser Fabrizzio, der regungslos dastand, an: »Na, nun los! Rasch! Zeigt die Narben, die von dem armen Giletti herrühren, von dem Mord her!«
Mit einem Sprunge stürzte Fabrizzio sich auf den Schreiber und gab ihm eine derartige Ohrfeige, daß Barbone von seinem Sessel über die Beine des Generals fiel. Die Gendarmen hielten Fabrizzio, der sich nicht rührte, an den Armen fest. Der General selbst und zwei Gendarmen, die neben ihm standen, hoben den Schreiber eiligst auf. Sein Gesicht blutete stark. Zwei Gendarmen, dieentfernter gestanden hatten, verschlossen schleunigst die Kanzlei, im Glauben, der Gefangene suche zu entkommen. Der Wachtmeister, der die Oberaufsicht hatte, meinte zwar, der junge del Dongo könne einen wirklich ernsten Fluchtversuch gar nicht unternehmen, da er innerhalb der Zitadelle sei. Trotzdem aber stellte er sich aus Polizisteninstinkt ans Fenster, um eine völlige Unordnung zu verhindern. Gerade vor diesem offenen Fenster hielt, zwei Schritt entfernt, der Wagen des Generals. Clelia hatte sich in die Ecke geschmiegt, um nicht Zeugin des traurigen Auftrittes zu sein, der sich drinnen abspielte. Als sie den Lärm hörte, blickte sie hin.
»Was geht da
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