Die Kartause von Parma
dessen das dicke Gesicht irgendeines Stubenmädchens zu sehen bekomme, das den Auftrag hat, die Vögel zu versorgen! Aber wenn ich Clelia erblicke, wird sie mich überhaupt eines Blickes würdigen? Bei Gott, ich muß mir etwas herausnehmen, um mich bemerkbar zu machen. Übrigens sind wir alle beide hier einsam und so fern von der Welt! Ich bin ein Gefangener, also ein Wesen, das der General Conti und das ganze elende Gelichter als ihren Untergebenen bezeichnen. Aber sie hat so viel Geist oder, besser gesagt, soviel Seele, wie der Graf Mosca meint, daß sie vielleicht, so sagte er, das Handwerk ihres Vaters verabscheut. Daher ihre Schwermut. Ein edler Grund zur Traurigkeit! Aber nach all dem kann ich durchaus kein Fremder für sie sein. Mit welcher Bescheidenheit und Anmut hat sie mich gestern abend gegrüßt! Ich erinnere mich deutlich, daß ich bei unserm Zusammentreffen bei Como zu ihr gesagt habe: ›Eines Tages werde ich mir die schönen Gemälde in Parma ansehen, und vielleicht erinnern Sie sich dann meines Namens: Fabrizzio del Dongo!‹ Ob sie das vergessen hat? Sie war damals noch so jung!
Aber da fällt mir ein,‹ unterbrach sich Fabrizzio erstaunt im Gange seiner Gedanken, ›ich habe vergessen, zornig zu sein! Habe ich das Zeug zu einem von jenen großen Helden, wie sie das Altertum der Welt vorgeführt hat? Bin ich ein Held, ohne es zu ahnen? Wie? Ich, der ich vor dem Kerker so große Furcht hatte, ich bin darin, und ich denke nicht daran, traurig zu sein! Also kann man wohl sagen, die Furcht war hundertmal schlimmer als das Übel selbst. Was? Ich muß mir Vernunft predigen, um im Gefängnis traurig zu sein, das, wie Blanio gesagt hat, zehn Jahre oder zehn Monate währen kann? Sollte es die Verwunderung über diese völlig neuen Verhältnisse sein, die mich von der Mißstimmung ablenkt, an der ich leiden müßte? Vielleicht wird meine gute Laune, die unabhängig von meinem Willen und wenig vernünftig ist, plötzlich vergehen; vielleicht versinke ich im nächsten Augenblick in das schwarze Unglück, das ich erleiden soll. Auf jeden Fall ist es höchst erstaunlich, daß ich im Kerker bin und mir Vernunft predigen muß, um traurig zu sein. Bei Gott, ich komme auf meine Vermutung zurück: vielleicht bin ich ein großer Charakter.‹
Fabrizzios Träumereien wurden durch den Tischler der Zitadelle gestört, der Maß zu einem Fensterschirm zu nehmen kam. Die Zelle wurde zum ersten Male benutzt, und man hatte diese wesentliche Einrichtung noch nicht angebracht.
»So werde ich meiner erhabenen Fernsicht beraubt«, sagte sich Fabrizzio und bemühte sich, darüber traurig zu sein.
»Was,« herrschte er mit einem Male den Tischler an, »ich soll die hübschen Vögel da nicht mehr sehen?«
»Ach, die Vögel vom gnädigen Fräulein! Sie liebt sie so!« sagte der Mann in gutmütigem Tone. »Verbaut, verschwunden, futsch wie alles andere!«
Das Sprechen war dem Tischler ebenso streng verboten wie den Gefängnisaufsehern, aber den Mann dauerte der junge Gefangene. So erzählte er ihm, daß die riesigen Schirme, die auf die Fenstersimse aufgesetzt wurden und schräg nach oben gingen, den Gefangenen nur die Aussicht nach dem Himmel frei ließen. »Das tut man aus moralischen Gründen,« meinte er, »um die heilsame Traurigkeit und den Vorsatz zur Besserung in der Seele des Gefangenen zu erhöhen. Der General«, fügte der Tischler hinzu, »hat auch die Erfindung gemacht, die Fensterscheiben herauszunehmen und durch Ölpapier zu ersetzen.«
Fabrizzio gefiel das Epigrammatische dieser Redeweise, die etwas Seltenes in Italien ist.
»Ich möchte zu meiner Zerstreuung gern einen Vogel haben; ich liebe die Tiere überaus. Kaufen Sie mir einen vom Stubenmädchen von Fräulein Clelia Conti!«
»Wie, Sie kennen sie,« rief der Tischler, »da Sie ihren Namen so hübsch sagen?«
»Wer hätte von dieser berühmten Schönheit nicht reden hören? Übrigens hatte ich die Ehre, ihr mehrmals bei Hofe zu begegnen.«
»Die arme Signorina langweilt sich hier sehr«, fuhr der Tischler fort. »Sie verbringt ihr Dasein mit ihren Vögeln. Heute vormittag hat sie schöne Orangenbäume gekauft, die man auf ihr Geheiß an der Turmpforte unter Ihren Fenstern aufgestellt hat. Wenn der Sims nicht wäre, könnten Sie sie sehen.«
Diese Mitteilung enthielt für Fabrizzio wertvolle Worte.Er fand eine höfliche Form, dem Tischler etwas Geld zu geben.
»Ich vergehe mich doppelt«, sagte der Mann zu ihm. »Ich spreche mit Eurer Exzellenz und
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