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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Stunden, aber die Zeit verging ihm rasch. Er grübelte über die verschiedenen Mittel nach, zu seinem Ziele zu gelangen, und über das, was er von Tischlerarbeit verstand. »Wenn ichs geschickt anfange,« sagte er sich, »so kann ich aus dem Eichenbrett, aus dem der Schirm bestehen wird, ein viereckiges Stück ausschneiden. Je nach den Umständen nehme ich das Stück heraus oder setze es wieder ein. Alles, was ich besitze, werde ich Grillo geben, damit er diese kleine Einrichtung nicht zu bemerken geruht.« Fabrizzios ganzes Glück hing fortan an der Möglichkeit, diese Arbeit zu bewerkstelligen, und er dachte an nichts anderes. »Wenn ich es nur fertig bringe, sie zu sehen, so bin ich glücklich. – Nein, nein,« sagte er sich, »sie muß auch sehen, daß ich sie sehe!«
    Die ganze Nacht über hatte er den Kopf voll von Tischlererfindungen und dachte wohl nicht ein einziges Mal an den Parmaer Hof, an den Zorn von Serenissimus und dergleichen. Wir wollen gestehen, daß er auch nicht weiter an den Schmerz dachte, in den die Duchezza versunken sein mußte. Ungeduldig erwartete er den nächsten Tag, aber der Tischler erschien nicht wieder. Offenbar galt er im Gefängnis für einen Liberalen. Man hatte dafür gesorgt, daß ein anderer kam, einer mit mürrischemAussehen, der immer nur mit einem Grunzen von schlimmer Vorbedeutung auf alle die netten Dinge antwortete, die sich Fabrizzio für ihn ausdachte.
    Einige von den vielen Versuchen der Duchezza, brieflichen Verkehr mit Fabrizzio herzustellen, waren durch die zahlreichen Spitzel der Marchesa Raversi entdeckt worden. Durch diese wurde der General Fabio Conti auch täglich aufmerksam gemacht, erschreckt und in seiner Eigenliebe angestachelt. Alle acht Stunden wurden die sechs Mann Wache im großen Saal mit den hundert Säulen im Erdgeschoß abgelöst. Obendrein hatte der Kommandant an jede der drei eisernen Türen im Vorsaal je einen Gefängnisaufseher als Posten aufgestellt, und der arme Grillo, der einzige, der zu dem Gefangenen durfte, war verdammt, die Torre Farnese nur alle acht Tage verlassen zu dürfen. Er gebärdete sich deshalb sehr grimmig und ließ seine schlechte Laune an Fabrizzio aus, der den guten Einfall hatte, nichts darauf zu erwidern als: »Einen ordentlichen Vorrat Nebiolo d'Asti, verehrter Freund!« Und er gab ihm Geld dazu.
    »Hören Sie,« sagte Grillo empört und so leise, daß der Gefangene ihn gerade noch verstehen konnte, »selbst das, was einen über alles Elend hinwegtröstet, hat man uns verboten anzunehmen. Ich müßte es zurückweisen, aber ich nehme es an. Übrigens weggeworfenes Geld! Ich kann Ihnen über nichts etwas sagen. Na, Sie, Sie mögen hübsche Dinge begangen haben! Die ganze Zitadelle ist Ihretwegen außer Rand und Band. Die Schliche der schönen Frau Duchezza haben bereits dreien von uns die Entlassung gebracht.«
    »Wird der Schirm vor Mittag fertig?« Das war die große Frage, die Fabrizzios Herz den ganzen langen Vormittag höher schlagen ließ. Er lauerte auf die Schläge jeder Viertelstunde, die die Turmuhr der Zitadelle verkündete. Als es endlich dreiviertel zwölf schlug, war der Schirm noch nicht da. Clelia erschien, um ihre Vögel zu versorgen. Die grausame Notwendigkeit hatte Fabrizzios KühnheitVorschub geleistet, und die drohende Gefahr, sie nicht mehr zu sehen, deuchte ihn so übergroß, daß er es beim Anblick Clelias wagte, mit einem Finger das Zersägen des Schirms anzudeuten. Sobald sie diese für einen Gefangenen so aufrührerische Geste bemerkte, grüßte sie leicht und zog sich zurück.
    »Wie,« fragte sich Fabrizzio verwundert, »sollte sie so unvernünftig sein, in einer Geste, die mir die härteste Notwendigkeit eingibt, eine lächerliche Vertraulichkeit zu erblicken? Ich wollte sie um die Gnade bitten, wenn sie ihre Vögel versorgt, etwas nach dem Kerkerfenster hinaufzublicken, selbst wenn sie es durch einen riesigen Holzverschlag verbaut fände. Ich wollte ihr andeuten, daß ich das Menschenmögliche tun will, um es fertig zu bekommen, sie wiederzusehen. Großer Gott, wenn sie wegen meiner ungebührlichen Geste morgen nicht wiederkäme!«
    Diese Befürchtung, die Fabrizzio eine unruhige Nacht bereitete, bewahrheitete sich. Am folgenden Tage war Clelia um drei Uhr noch nicht erschienen, als man die beiden riesigen Schirme vor Fabrizzios Fenster gesetzt hatte. Die einzelnen Teile waren von der Plattform des breiten Turmes aus mit Tauen und Flaschenzügen bis an die Eisengitter hinaufgezogen worden.

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