Die Kartause von Parma
Freilich hatte Clelia hinter einem Vorhang ihres Zimmers jede Bewegung der Arbeiter ängstlich verfolgt; sie hatte sehr wohl Fabrizzios tödliche Unruhe beobachtet, aber sie hatte trotz alledem den Mut, das Versprechen zu halten, das sie sich gegeben.
Clelia war eine kleine Anhängerin der Freiheitsbewegung. In ihrer frühen Jugend hatte sie die liberalen Reden ernst genommen, die sie im Hause ihres Vaters hörte, der an nichts anderes als an seine Laufbahn dachte. Sie hatte dann mit Abscheu erfahren, wie wetterwendisch der Charakter dieses Hofmenschen war. Daher rührte ihre Abneigung gegen die Ehe. Seit Fabrizzios Ankunft wurde sie von Gewissensbissen gequält. »So bin ich nun!« sagtesie sich. »Mein nichtswürdiges Herz schlägt für Leute, die meinen Vater ins Unglück stürzen wollen! Er wagt es, mir eine Geste zu machen, daß er eine Tür zersägen will! Allerdings,« fuhr sie mit blutendem Herzen fort, »die ganze Stadt spricht von seinem nahen Tode. Vielleicht ist morgen dieser unselige Tag! Bei den Ungeheuern, die unser Land beherrschen, ist kein Ding unmöglich! Welche Sanftmut, welche heldenhafte Heiterkeit in diesen Augen, die sich vielleicht so bald schließen sollen! Gott, was für eine Herzensangst muß die Duchezza haben! Man sagt, sie sei am Verzweifeln. Ich möchte den Fürsten erdolchen wie die heldenmütige Charlotte Corday.«
Diesen ganzen dritten Tag seiner Gefangenschaft war Fabrizzio außer sich vor Zorn, aber lediglich, weil er Clelia nicht gesehen hatte. »Zorn gegen Zorn! Ich werde ihr sagen müssen, daß ich sie liebe!« rief er laut. Bei dieser Entdeckung war er nämlich angelangt. »Nein, das ist gar keine Seelengröße, daß ich nicht an meine Gefangenschaft denke und die Weissagungen Blanios Lügen strafe! So viel Ehre gebührt mir durchaus nicht. Unwillkürlich denke ich an jenen Blick süßen Mitleids, den Clelia mir gegönnt hat, als mich die Gendarmen aus der Wache führten. Dieser Blick hat mein ganzes bisheriges Leben ausgelöscht. Wer hätte gedacht, daß ich an solch einem Orte so süße Augen finden sollte! Und dies zu einer Zeit, als meine Blicke besudelt waren vom Anblick der Gesichter des Barbone und des Kommandanten. Mitten unter diesen gemeinen Kreaturen ging mir der Himmel auf. Und wie sollte ich da nicht die Schönheit lieben und versuchen, sie wiederzusehen! Nein, das ist durchaus keine Seelengröße, daß ich gleichgültig bin gegen die kleinen Quälereien, an denen der Kerker so überreich ist!«
Fabrizzios Phantasie vergegenwärtigte sich blitzschnell alle Möglichkeiten. »Am Ende werde ich gar freigelassen? Ohne Zweifel vollbringt die Freundschaft der DuchezzaWunder für mich. Ach, ich würde mich nur mit einem erzwungenen Lächeln für die Freiheit bedanken! An solch einen Ort kommt man nicht so bald zurück. Bin ich einmal aus dem Kerker hinaus, werde ich Clelia so gut wie nie wiedersehen! Gehören wir beide doch getrennten Lagern an! Bei Licht betrachtet: Was kann mir das Gefängnis anhaben? Wenn Clelia die Gnade hätte, mich nicht mit ihrem Zorn zu überschütten, was hätte ich vom Himmel zu erbitten?«
Am Abend dieses Tages, an dem er seine hübsche Nachbarin nicht gesehen hatte, kam ihm ein großer Gedanke: mit dem eisernen Kreuz des Rosenkranzes, den man jedem Gefangenen bei seiner Aufnahme im Kerker aushändigt, begann er den Schirm mit Erfolg anzusägen. »Vielleicht ist das eine Unvorsichtigkeit«, sagte er sich, bevor er anfing. »Haben die Tischler nicht in meiner Gegenwart gesagt, daß gleich morgen die Anstreicher kämen? Was werden die sagen, wenn sie den Schirm angesägt finden? Aber wenn ich diese Unvorsichtigkeit begehe, dann kann ich sie morgen sehen. Wie, durch meine Schuld sollte ich sie einen Tag lang nicht sehen, noch dazu, da sie mich erzürnt verlassen hat?«
Fabrizzios Wagnis ward belohnt: nach fünfzehnstündiger Arbeit sah er Clelia, und zu seinem allerhöchsten Glück, als sie sich gerade gar nicht von ihm beobachtet glaubte. Lange stand sie regungslos da, den Blick auf den großen Schirm geheftet. Er hatte also alle Muße, in ihren Augen die Zeichen des zärtlichsten Mitleids zu lesen. Offenbar vernachlässigte sie sogar ihre Vögel, um minutenlang nach seinem Fenster hinaufzuschauen. Ihre Seele war bis in den Grund aufgewühlt. Sie gedachte der Duchezza, deren grenzenloses Leid ihr soviel Mitgefühl eingeflößt hatte; und doch begann sie diese Frau zu hassen. Sie verstand nichts von der tiefen Schwermut, die ihr Wesen
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