Die Kartause von Parma
sind sie mehr als dreißig Meilen von der Zitadelle entfernt.
Den weiten Fernblick von dem hübschen Palazzo der Kommandantur unterbrach nach Süden die Torre Farnese, in der man in aller Eile eine Zelle für Fabrizzio herrichtete. Dieser zweite Turm erhob sich, wie sich der Leser vielleicht erinnert, ebenfalls auf der Plattform des breiten, turmartigen Unterbaues. Er war zu Ehren eines Erbprinzen erbaut worden, der, im Gegensatz zu Hippolyt in Racines Phädra, die Artigkeiten seiner jungen Stiefmutter keineswegs zurückgewiesen hatte. Die Fürstin starb nach wenigen Stunden; der Prinz erhielt seine Freiheit erst nach siebzehn Jahren wieder, als er nach dem Tode seines Vaters den Thron bestieg. Diese äußerlich sehr häßliche Torre Farnese, die Fabrizzio drei viertel Stunde später hinaufsteigen mußte, überragt die Plattform des großen Turmes um fünfzig Fuß. Jener mit seiner Gattin unzufriedene Fürst, der dieses überall sichtbare Gefängnis errichten ließ, hatte die merkwürdige Laune gehabt, seinen Untertanen einzureden, es bestehe seit langen Jahren; deshalb gab er ihm den Namen Torre Farnese. Es war verboten, von seiner Erbauung zu reden, und doch konnte man von allen Punkten der Stadt Parma und der umliegenden Ebenen deutlich beobachten, wie die Bauleute Stein auf Stein zu diesem fünfeckigen Bau aufeinanderfügten. Zum Zeichen seines vorgeblichen Alters ließ man in die Mauer über der zwei Fuß breiten und vier Fuß hohen Eingangspforte ein prächtiges Relief ein, das den berühmten Heerführer Alessandro Farnese darstellte, der Heinrich IV. zwang, von Paris abzulassen.
Das Erdgeschoß dieses in so schöner Lage errichteten Turmes hatte Seiten von mindestens vierzig Schritt Länge und eine dementsprechende Breite, war aber bei seiner übermäßig großen Grundfläche nur fünfzehn Fuß hoch und ganz ausgefüllt mit gedrungenen Säulen. Es diente als Wache. Um die mittelste Säule führte eine schmale, sehr leicht gebaute, kaum zwei Fuß breite eiserne Wendeltreppe von durchbrochenem Gitterwerk empor. Aufdieser Treppe, die unter den wuchtigen Tritten der Gefängniswärter erzitterte, gelangte der von ihnen geleitete Fabrizzio in den prächtigen ersten Stock mit seinen riesigen, zwanzig Fuß hohen Räumen. Ehedem waren sie für den Prinzen, der dort die siebzehn schönsten Jahre seines Lebens vertrauert hatte, mit allem Prunk ausgestattet gewesen. Am Ende dieses Stockwerkes zeigte man dem neuen Gefangenen eine Kapelle von großer Pracht. Die Wände und die Wölbung waren mit schwarzem Marmor bekleidet; ebensolche schwarze Säulen von edelsten Verhältnissen standen in langen Reihen frei vor den schwarzen Wänden. Die Mauern waren geschmückt mit einer Menge riesiger, sorgfältig aus weißem Marmor ausgehauener Totenschädel, unter denen sich je zwei Knochen kreuzten. ›Das ist so recht eine Erfindung des Hasses, der nicht töten kann‹, dachte Fabrizzio. ›Was für ein Satansgedanke, mir das zu zeigen!‹
Eine sehr leichte durchbrochene eiserne Treppe, wiederum um die mittelste Säule kreisend, führte zum zweiten Stock, der ungefähr fünfzehn Fuß hoch war und an dem der General Fabio Conti seit einem Jahre sein Genie bewies. Zunächst hatte man unter seiner Leitung die Fenster der einzelnen Zellen, die vordem von Hoflakaien bewohnt waren, mit starken Eisengittern versehen, obgleich sie mehr als dreißig Fuß hoch über den Steinfliesen der Plattform des breiten Unterturmes lagen. Von einem dunklen Vorsaal im Mittelpunkte des Bauwerkes gelangte man in die Zellen, von denen jede zwei Fenster hatte. In diesem sehr engen Gang erblickte Fabrizzio drei aufeinanderfolgende eiserne Gittertüren mit gewaltigen Stäben, die bis zur Decke hinaufreichten. Alles war nach den Grundrissen, Quer- und Höhenschnitten angelegt, derentwegen der General, ihr trefflicher Erfinder, zwei Jahre lang jede Woche zum Empfang bei Serenissimus gekommen war. Ein dort untergebrachter Verschwörer konnte sich nicht beschweren, sein Gefängnis sei menschenunwürdig, und doch war er ohne irgendwelche Verbindungmit der Außenwelt; er vermochte sich nicht zu rühren, ohne daß man es merkte. Der General hatte in jeder Zelle dicke Eichenbohlen legen lassen, die drei Fuß hohe Stege bildeten. Das war seine Haupterfindung, die ihm die Befähigung zum Polizeiminister verschaffte. Auf diese Stege hatte er einen Käfig aus Holzplanken setzen lassen, der zehn Fuß hoch war und einen prächtigen Klangboden hatte. Er berührte die Mauer
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