Die Kartause von Parma
nehme Geld an. Übermorgen, wenn ich wegen des Schirmes wiederkomme, will ich in meiner Tasche einen Vogel mitbringen, und wenn ich nicht allein bin, werde ich so tun, als ob er mir entwischt. Und wenn ich es kann, werde ich Ihnen ein Gebetbuch besorgen. Es muß Ihnen doch schmerzlich sein, Ihr Brevier nicht lesen zu können.«
»Also«, sagte sich Fabrizzio, sobald er allein war, »die Vögel gehören ihr, aber in zwei Tagen werde ich sie nicht mehr sehen.«
Bei diesem Gedanken nahmen seine Augen einen Ausdruck von Unglück an. Aber zu seiner unsagbaren Freude erschien endlich gegen Mittag nach langem Harren und vielmaligem Hinsehen Clelia, um ihre Vögel zu versorgen. Fabrizzio stand regungslos und ohne zu atmen da, ganz dicht gegen die mächtigen Fenstergitter gelehnt. Er sah, daß sie die Blicke nicht zu ihm erhob, aber ihre Bewegungen hatten etwas Gezwungenes, als ob sie sich beobachtet fühlte. Wenn das arme Mädchen auch gewollt hätte, sie hätte das feine Lächeln doch nicht vergessen können, das sie am Tage vorher über die Lippen des Gefangenen hatte huschen sehen, im Augenblick, als die Gendarmen ihn aus der Wachtstube abführten.
Obgleich sie sich allem Anschein nach die größte Mühe gab, sich zu beherrschen, so wurde sie doch in dem Augenblick, als sie sich dem Fenster der Vogelstube näherte, merklich rot. Fabrizzio, der an dem eisernen Fenstergitter lehnte, wollte in der ersten Wallung seinem kindischen Verlangen nachgeben und mit der Hand ein wenig an das Gitter klopfen, um ein leises Geräusch hervorzurufen; aber der bloße Gedanke an solchen Mangel an Taktgefühl verursachte ihm Schaudern. »Ich verdiene es, daß sie acht Tage lang ihre Vögel durch das Stubenmädchenversorgen läßt.« So zarte Gedanken hatte er in Neapel und in Novara niemals gehabt.
Er beobachtete Clelia mit glühenden Augen. »Sicherlich«, sagte er sich, »wird sie wieder gehen, ohne meinem armen Fenster einen Blick zu gönnen, und es liegt ihr doch gerade gegenüber.« Als sie aber wieder aus dem Hintergrund des Zimmers hervorkam, bemerkte Fabrizzio dank seinem höheren Standorte ganz deutlich, daß Clelia es nicht über sich brachte, ihren Blick nicht hinaufschweifen zu lassen, ganz flüchtig, aber doch so, daß sich Fabrizzio für berechtigt hielt, sie zu grüßen.
»Sind wir beide nicht hier allein auf der Welt?« sagte er sich, um sich Mut zu machen. Auf seinen Gruß blieb das junge Mädchen stehen und senkte die Augen. Dann sah Fabrizzio, wie sie sie ganz langsam wieder aufschlug. Offenbar kämpfte sie heftig mit sich selbst: sie grüßte den Gefangenen mit einer sehr ernsten und gemessenen Bewegung, aber ihren Augen konnte sie das Sprechen nicht verbieten. Wahrscheinlich ohne daß sie es selbst wußte, drückten sie einen Atemzug lang das innigste Mitgefühl aus. Fabrizzio sah, daß sie rot wurde und daß dieses Rot ihr rasch die Haut hinunterlief, bis auf die Schultern, die sie wegen der Hitze in der Vogelstube beim Eintreten von ihrem schwarzen Spitzenschal befreit hatte. Der unwillkürliche Blick, mit dem Fabrizzio auf ihren Gruß antwortete, verdoppelte die Verwirrung des jungen Mädchens. »Wie glücklich wäre jene unglückliche Frau,« sagte sie sich in Gedanken an die Duchezza. »wenn sie ihn nur einen Augenblick so sehen könnte wie ich!«
Fabrizzio hatte die leise Hoffnung, sie bei ihrem Weggehen noch einmal grüßen zu können. Aber um dieser neuen Huldigung aus dem Wege zu gehen, trat Clelia einen wohlüberlegten allmählichen Rückzug an, von Bauer zu Bauer, als ob sie die der Tür am nächsten aufgestellten Vögel zuletzt versorgen müßte. Schließlich ging sie hinaus. Fabrizzio starrte regungslos nach der Tür, durch die sie verschwunden war. Er war ein neuer Mensch.Von diesem Augenblick an waren seine Gedanken einzig und allein daraufgerichtet, wie er es ermöglichen könne, sie wiederzusehen, selbst wenn der schreckliche Schirm das nach der Kommandantur führende Fenster versperrte.
Am Abend vorher hatte er sich vor dem Schlafengehen die höchst langweilige Mühe auferlegt, den größeren Teil des Goldes, das er besaß, in den zahlreichen Rattenlöchern, die seinen Holzkäfig zierten, zu verstecken. »Heute abend muß ich meine Taschenuhr verbergen. Habe ich nicht gehört, daß man bei einiger Ausdauer mit einer schartig gemachten Uhrfeder Holz oder sogar Eisen zersägen kann? So könnte ich also den Schirm zersägen!« Die Arbeit, seine Taschenuhr zu verstecken, dauerte reichlich zwei
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