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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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gehindert, denn die Zelle war völlig leer; höchstens konnte ein eiserner Ofen in der einen Ecke die Jagd ein wenig stören. Als der Terrier alle seine Feinde zur Strecke gebracht hatte, rief ihn Fabrizzio an und streichelte ihn. Er hatte das Glück, dem Hunde zu gefallen. ›Wenn der mich mal über eine Mauer klettern sieht, wird er nicht bellen!‹ dachte Fabrizzio. Aber solche durchtriebene Politik hatte lange Wege; bei seiner jetzigen Geistesverfassung fand er sein Glück darin, mit dem Hunde zu spielen. Seltsamerweise und ohne daß er sich dessen bewußt ward, herrschte im Grunde seiner Seele geheime Freude.
    Nachdem er durch das Herumtollen mit dem Hunde ziemlich außer Atem gekommen war, fragte er den Aufseher: »Wie heißen Sie?«
    »Grillo. Ich bin bereit, Eurer Exzellenz in allen Dingen zu dienen, soweit es die Vorschriften gestatten.«
    »Ausgezeichnet, mein lieber Grillo! Ein gewisser Giletti hat mich auf offener Landstraße ermorden wollen; ich habe mich zur Wehr gesetzt und ihn totgestochen. Wennes wieder so käme, machte ichs genau ebenso. Solange ich nun euer Gast bin, will ich mir das Leben möglichst lustig einrichten. Bitten Sie Ihre Vorgesetzten um Erlaubnis und lassen Sie sich im Palazzo Sanseverina Wäsche geben! Ferner kaufen Sie mir einen anständigen Vorrat Nebiolo d'Asti!«
    Das ist ein nicht übler schäumender Wein, den man in Piemont, in der Heimat Alfieris, herstellt und der seine Liebhaber besonders in der Gesellschaftsklasse hat, der die Gefängniswärter angehören. Acht bis zehn dieser Herren waren damit beschäftigt, etliche altmodische reich vergoldete Möbel in Fabrizzios Holzgemach zu schleppen; man hatte sie aus dem Prinzengefängnis im ersten Stockwerk geholt. Alle vernahmen das Wort ›Nebiolo d'Asti‹ mit Andacht. Trotz ihren Bemühungen blieb Fabrizzios Wohnung für die erste Nacht erbärmlich; gleichwohl betrübte ihn nur das vorläufige Fehlen einer guten Flasche Nebiolo.
    »Das scheint ein braver Junge zu sein«, meinten die Aufseher beim Weggehen. »Nur eins bleibt zu wünschen, nämlich, daß ihm Geld zugesteckt wird.«
    Als Fabrizzio allein war und sich von all dem Lärm ein wenig erholt hatte, sagte er sich: ›Ist es möglich, daß das der Kerker ist?‹ Er blickte nach dem unermeßlichen Horizonte von Treviso bis zum Monte Viso, nach der langgedehnten Alpenkette, nach den schneebedeckten Gipfeln und empor zu den Sternen. ›Ich begreife, daß sich Clelia Conti in dieser luftigen Einsamkeit wohlfühlt. Hier ist man tausend Meilen über den kleinlichen und boshaften Dingen, die einen da unten umgeben. Wenn die Vögel unter mir ihr gehören, werde ich sie wiedersehen. Wird sie rot werden, wenn sie mich erblickt?‹
    Indem er über diese wichtigen Fragen nachdachte, schlief er in vorgerückter Nachtstunde ein. Schon am Tage nach dieser ersten im Gefängnis verbrachten Nacht, in der er nicht ein einziges Mal ungeduldig geworden war, sah sich Fabrizzio darauf beschränkt, seine Unterhaltung bei Fox,dem Bullterrier, zu suchen. Der Aufseher Grillo warf ihm zwar immer liebenswürdige Blicke zu, aber ein neuer Befehl schloß ihm den Mund, auch brachte er weder Wäsche noch Nebiolo.
    ›Werde ich Clelia sehen?‹ fragte sich Fabrizzio beim Erwachen. ›Ob das ihre Vögel sind?‹ Die Tierchen begannen ihr Zwitschern und Singen. In dieser Turmhöhe war dies der einzige Laut, der durch die Lüfte drang. Die große Stille, die dort oben herrschte, war für Fabrizzio eine neue, glückselige Wahrnehmung. Staunend lauschte er den leisen, oft unterbrochenen und so frischen Weisen seiner kleinen Nachbarn, die den Tag begrüßten. ›Wenn sie ihr gehören, so muß sie doch einmal in dieses Zimmer kommen, da unter meinem Fenster.‹ Wenn Fabrizzios Blicke auch immerfort die unermeßliche Alpenkette entlang schweiften, vor der sich die Zitadelle von Parma wie ein vorgeschobener Posten erhob, so kehrten sie doch auch ebensooft zurück zu den prächtigen Vogelkäfigen aus Zitronen- und Mahagoniholz mit ihren vergoldeten Stäben, die in dem sehr hellen Zimmer standen, das als Vogelstube benutzt ward. Erst später erfuhr Fabrizzio, daß dieses Zimmer das einzige vom Oberstock des Palastes war, das von elf bis vier Uhr Schatten hatte. Es wurde von der Torre Farnese gedeckt.
    ›Wie betrübend wäre es für mich,‹ sagte sich Fabrizzio, ›wenn ich statt ihres himmlischen sinnigen Antlitzes, auf das ich warte und das bei meinem Anblick vielleicht ein wenig errötet, – wenn ich statt

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