Die Kartause von Parma
ergriffen hatte; sie war ärgerlich auf sich selbst. Zwei- oder dreimal während ihrer Anwesenheit versuchte Fabrizzio aus Ungeduld, an dem Schirm zurütteln; ihm war, als sei er nicht glücklich, solange er Clelia nicht merken lassen konnte, daß er sie sähe. ›Wenn sie aber wüßte,‹ sagte er sich, ›daß ich sie so bequem beobachten kann, so würde sie sich, schüchtern und zurückhaltend, wie sie ist, zweifellos meinen Blicken entziehen.‹
Mehr Glück hatte er am nächsten Tage, denn welchem Elend vermöchte die Liebe nicht Glück zu entlocken? Während Clelia trübsinnig nach dem großen Fensterschirm hinaufsah, gelang es ihm, ein kleines Stück Eisendraht durch das Loch zu stecken, das er mit dem eisernen Kreuz hergestellt hatte, und ihr Zeichen zu machen, die sie augenscheinlich verstand, zum mindesten in dem Sinne: ›Ich bin da und sehe dich!‹
An den folgenden Tagen hatte Fabrizzio Pech. Er wollte aus dem großen Schirm ein handgroßes Stück Holz heraussägen, das sich nach Belieben wieder einsetzen ließe, damit er sähe und gesehen würde und somit wenigstens durch Zeichen verständlich machen könnte, was in seiner Seele vorging. Aber das Geräusch der kleinen Säge, die er sich aus seiner mit dem Kreuze gezähnten Uhrfeder einigermaßen hergerichtet hatte, machte Grillo stutzig, so daß dieser stundenlang in Fabrizzios Zelle blieb. Allerdings glaubte er wahrzunehmen, daß Clelias Unnahbarkeit in dem Grade abnahm, wie die Schwierigkeiten, sich zu verständigen, wuchsen. Fabrizzio beobachtete sehr wohl, daß sie nicht mehr absichtlich die Augen niederschlug oder sich mit den Vögeln abgab, wenn er den Versuch machte, ihr mit Hilfe des elenden Drahtstückes ein Zeichen seiner Gegenwart zu geben. Zu seiner Freude sah er, daß sie nie verfehlte, genau in dem Augenblick in der Vogelstube zu erscheinen, da es drei Viertel zwölf schlug, und er bildete sich beinahe ein, er sei die Ursache ihrer so pünktlichen Regelmäßigkeit. Warum? Dieser Gedanke scheint unvernünftig, aber die Liebe beobachtet kaum bemerkbare Regungen, die einem gleichgültigen Auge entgehen, und zieht endlose Folgerungen daraus.Zum Beispiel erhob Clelia, seitdem sie den Gefangenen nicht mehr sehen konnte, ihre Blicke fast unmittelbar nach ihrem Eintritt in die Vogelstube zu seinem Fenster. Das war gerade an den unheilvollen Tagen, als kein Mensch in Parma daran zweifelte, daß Fabrizzio bald hingerichtet werden würde; er allein wußte nichts davon. Aber Clelia konnte dieses schrecklichen Gedankens nicht ledig werden. Warum sollte sie sich da Vorwürfe machen, daß sie Fabrizzio zuviel Teilnahme bezeigte? Er war dem Untergang nahe! Weil er ein Freidenker war! Es erschien ihr abgeschmackt, daß ein del Dongo hingerichtet werden sollte, weil er einem Komödianten einen Degenstich versetzt hatte. Freilich war der liebenswürdige junge Mann an eine andere Frau gebunden! Clelia war tief unglücklich, und wenn sie sich auch die Art ihrer Teilnahme an seinem Schicksal nicht ganz richtig eingestand, so sagte sie sich doch: ›Wenn man ihn in den Tod führt, dann gehe ich bestimmt in ein Kloster. In meinem ganzen Leben will ich nicht wieder in dieser Hofgesellschaft erscheinen; mir graut vor ihr. Höfische Meuchelmörder!‹
Am achten Tage von Fabrizzios Gefangenschaft erlebte sie eine große Beschämung. Sie sah starr und in trübe Gedanken versunken nach dem Schirme, der das Fenster des Gefangenen verbarg. An diesem Tage hatte er noch keinerlei Zeichen seiner Gegenwart gegeben. Mit einem Male wurde ein kleines, etwas mehr als handgroßes Stück aus dem Schirm entfernt. Mit heiterer Miene schaute Fabrizzio zu ihr heraus. Sie sah den Gruß seiner Augen. Diese unerwartete Versuchung vermochte sie nicht zu ertragen; schnell wandte sie sich ihren Vögeln zu und begann sie zu versorgen, aber sie zitterte so sehr, daß sie das Wasser verschüttete, das sie ihnen gab, und Fabrizzio konnte ihre Erregung ganz deutlich erkennen. Dieser Zustand war ihr unerträglich, und sie entschloß sich, davonzulaufen.
Dieser Augenblick war der schönste in Fabrizzios Leben.Mit welcher Begeisterung hätte er die Befreiung zurückgewiesen, hätte man sie ihm jetzt angeboten!
Der kommende Tag war für die Duchezza ein Tag großer Verzweiflung. In der Stadt galt es allgemein als sicher, daß es um Fabrizzio geschehen sei. Clelia hatte den traurigen Mut nicht, ihm eine Kälte vorzuspiegeln, die ihrem Herzen fremd war. Anderthalb Stunden weilte sie in der
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