Die Kartause von Parma
gingen, allzu gewagt gewesen. Fabrizzio zweifelte daran, daß er geliebt werde. Hätte er einige Liebeserfahrung besessen, so hätte er nicht lange gezweifelt, aber noch nie hatte ein weibliches Wesen sein Herz beschäftigt. Im übrigen hatte er keine Ahnung von einem Geheimnis, über das er außer sich gewesen wäre, wenn er davon gewußt hätte. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Heirat Clelia Contis mit dem Marchese Crescenzi, dem reichsten Mann bei Hofe.
Neunzehntes Kapitel
Der Ehrgeiz des Generals Fabio Conti steigerte sich bis zur Narrheit, seit sich der Laufbahn des Premierministers Mosca Hemmnisse in den Weg gelegt hatten, die auf seinen Sturz hinzudeuten schienen. Er begann seiner Tochter heftige Szenen zu machen. Immer wieder hielt er ihr zornig vor, sie bräche ihm den Hals, wenn sie nicht endlich ihre Wahl träfe. Da sie über zwanzig hinaus sei, wäre es Zeit, sich zu entschließen; ihre unvernünftige Halsstarrigkeit isoliere den General schrecklich und müsse endlich aufhören, und so weiter.
Um sich diesen Ausbrüchen von schlechter Laune nicht alle Augenblicke auszusetzen, floh Clelia in die Vogelstube; dorthin konnte man nur auf einer sehr unbequemen Holztreppe gelangen, die für den Kommandanten mit seinem Podagra ein ernstliches Hindernis bildete.
Seit etlichen Wochen war Clelias Seele derartig in Unruhe, sie wußte selbst so wenig, was sie sich wünschen sollte, daß sie, freilich ohne bindendes Jawort, fast in ihre Verlobung gewilligt hatte. Bei einem seiner Wutanfälle hatte der General gepoltert, er werde sie ohne Bedenken in das ödeste Kloster von Parma stecken, und sie könne sich da zu Tode langweilen, bis sie geruhe, ihre Wahl zu treffen.
»Du weißt, daß unsere Familie, so uralt sie ist, keine sechstausend Lire Rente hat, daß aber der Marchese Crescenzi über mehr als hunderttausend Taler im Jahre verfügt. Bei Hofe ist man sich einig, daß er den verträglichsten Charakter besitzt. Niemals hat er irgendwem Anlaß zu Klagen gegeben; er ist ein schmucker junger Mann, bei Serenissimus wohlgesehen, und ich meine, wenn eine seine Huldigungen zurückweist, muß sie vollkommen verrückt sein. Wenn diese Abweisung die erste wäre, ließe ich sie mir vielleicht noch gefallen, aber du hast schon fünf oder sechs Partieen, die besten in der Hofgesellschaft, von dir gewiesen, dumme Gans, die du bist! Und was soll aus dir werden, ich bitte dich, wenn ich pensioniert werde? Was für eine Genugtuung für meine Gegner, wenn man mich in irgendeinen zweiten Stock einziehen sieht, mich, der ich oft in Frage gekommen bin, Minister zu werden! Nein, Schockschwerenot! Ich habe nun lange genug in meiner Gutmütigkeit die Rolle Cassanders gespielt. Du bringst mir entweder einen stichhaltigen Einwand gegen diesen armen Marchese Crescenzi, der die Güte hat, in dich verliebt zu sein, dich ohne Mitgift zur Frau zu begehren und dir ein Nadelgeld von dreißigtausend Lire Rente auszusetzen, wovon ich wenigstens anständig wohnen könnte, – kurz undgut, du sagst mir entweder etwas Vernünftiges, oder, zum Teufel, du heiratest in zwei Monaten!«
Ein einziges Wort dieser ganzen Rede hatte auf Clelia Eindruck gemacht, das war die Drohung, ins Kloster gesteckt zu werden und somit die Zitadelle verlassen zu müssen, und das zu einer Zeit, da Fabrizzios Leben nur noch an einem Faden hing; denn es verging kein Monat, in dem das Gerücht von seinem nahen Tode nicht von neuem in der Stadt und am Hofe umlief. Was für Vorhaltungen sie sich auch machte, sie konnte sich nicht entschließen, sich der Gefahr auszusetzen, von Fabrizzio in dem Augenblick getrennt zu werden, da sie für sein Leben zitterte. Das war in ihren Augen der Übel schlimmstes, zum mindesten unmittelbarstes. Freilich sah ihr Herz, wenn sie nicht von Fabrizzio getrennt wurde, auch keine Aussicht auf Glück; wähnte sie ihn doch von der Duchezza geliebt, und ihre Seele war von tödlicher Eifersucht zerrissen. Unaufhörlich dachte sie an die Vorzüge dieser allgemein bewunderten Frau. Die strenge Zurückhaltung, die sich Clelia Fabrizzio gegenüber auferlegte, die Zeichensprache, auf die sie ihn beschränkt hatte, aus Furcht vor irgend etwas Unschicklichem, alles das schien sich zu verbünden und ihr jedes Mittel zu nehmen, sich einige Klarheit über seine wahren Beziehungen zur Duchezza zu verschaffen. So fühlte sie von Tag zu Tag immer grausamer das schreckliche Unglück, in Fabrizzios Herzen eine Rivalin zu haben, und von Tag zu Tag
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