Die Kartause von Parma
lange Unterhaltungen durch Buchstaben statt; jeden Abend um neun Uhr erhielt Clelia einen langen Brief, und bisweilen antwortete sie mit ein paar Worten. Sie schickte ihm die Zeitung und einige Bücher. Schließlich war Grillo so weit kirre gemacht, daß er Fabrizzio an Brot und Wein brachte, was ihm täglich von Clelias Kammerzofe eingehändigt wurde. Der Aufseher hatte daraus geschlossen, daß der Kommandant nicht im Einvernehmen mit den Leuten war, die Barbone die Vergiftung des jungen Monsignore aufgetragen hatten. Darüber war er ebenso wie alle seine Kollegen sehr erfreut; es ging nämlich im Gefängnis die Rede: ›Man braucht Monsignore del Dongo nur ordentlich anzusehen, sogleich gibt er einem Geld!‹
Fabrizzio war sehr blaß geworden; der völlige Mangel an Bewegung schädigte seine Gesundheit. Abgesehen davon, war er noch nie so glücklich gewesen. Der Ton der Unterhaltung zwischen ihm und Clelia war vertraulich, bisweilen überaus heiter. Die einzigen Augenblicke in Clelias Leben, die sie nicht von unheilvollen Vorahnungen und Gewissensbissen bedroht sah, waren die in der Unterhaltung mit ihm verbrachten. Eines Tages beging sie die Unbedachtsamkeit, ihm zu sagen: »Ich bewundere Ihr Zartgefühl. Obgleich ich die Tochter des Kommandanten bin, sprechen Sie zu mir niemals von dem Wunsch, die Freiheit wiederzuerlangen.«
»Es fällt mir gar nicht ein, derlei dummes Zeug zu wünschen!« erwiderte ihr Fabrizzio. »Wenn ich erst wieder frei bin, wie könnte ich Sie dann wiedersehen? Und das Leben wäre mir fortan unerträglich, wenn ich Ihnen nicht alles sagen könnte, was ich denke, nein, nicht genau alles, was ich denke, das leiden Sie ja nicht; aber schließlich,trotz Ihrer Ungnade: leben, ohne Sie nicht jeden Tag zu sehen, wäre für mich eine viel schlimmere Strafe als dieses Gefängnis! Nie im Leben bin ich so glücklich gewesen! Ist es nicht sonderbar, daß das Glück meiner im Kerker harrte?«
»Über diesen Punkt ließe sich wohl manches sagen«, antwortete Clelia mit einem Gesicht, das mit einem Male unsäglich ernst und fast finster wurde.
»Wie,« gab Fabrizzio ganz erschrocken zur Antwort, »soll ich das kleine Plätzchen wieder verlieren, das ich mir in Ihrem Herzen zu erobern vermochte und das meine einzige Freude auf dieser Welt ausmacht?«
»Ja,« erwiderte sie, »ich habe allen Anlaß, zu glauben, daß es Ihnen an Ehrlichkeit gegen mich fehlt, zumal Sie in der Gesellschaft für einen gewaltigen Hofmacher gelten. Aber ich rede heute lieber nicht über diesen Gegenstand.«
Diese seltsame Eröffnung brachte viel Verwirrung in ihre Unterhaltung, und verschiedene Male standen beiden die Tränen in den Augen.
Der Großfiskal Rassi sehnte sich immerfort nach der Namensänderung; er war des Namens, den er sich erworben hatte, sehr überdrüssig und wollte Baron Riva werden. Graf Mosca wiederum arbeitete mit aller Geschicklichkeit, die ihm zu Gebote stand, darauf hin, die Sehnsucht nach dem Baronstitel bei dem Oberrichter zu schüren und bei Serenissimus die närrische Hoffnung zu verdoppeln, sich zum verfassungsmäßigen König der Lombardei zu machen. Das waren die einzigen Mittel, wodurch er Fabrizzios Hinrichtung hinausschieben konnte.
Serenissimus sagte zu Rassi: »Vierzehn Tage Kummer und vierzehn Tage Hoffnung! Nur durch diese geduldig fortgesetzte Diät kann es uns gelingen, das charakterstolze Weib zu beugen. Durch abwechselnde Milde und Strenge bändigt man schließlich die wildesten Rosse. Halten Sie nur das Eisen warm!«
In der Tat hörte man alle vierzehn Tage ein neues Gerücht über Fabrizzios bevorstehende Hinrichtung auftauchen. Dieses Gerede versetzte die unglückliche Duchezza in grenzenlose Betrübnis. Treu ihrem Vorsatz, den Grafen nicht mit ins Verderben zu stürzen, sah sie ihn nur zweimal im Monat. Aber sie ward für ihre Härte gegen den Armen durch die unaufhörliche Wiederkehr der düsteren Verzweiflung gestraft, in der sie hinlebte. Vergeblich bezwang Graf Mosca die grausame Eifersucht, die die beharrlichen Huldigungen des Grafen Baldi, jenes so schönen Mannes, bei ihm erweckten. Da er sie nicht sehen konnte, schrieb er ihr und unterrichtete sie über alles, was er durch den Eifer des künftigen Barons Riva erfuhr. Um die schrecklichen Gerüchte, die unaufhörlich über Fabrizzio im Umlauf waren, ertragen zu können, hätte die Duchezza mit einem Manne von Geist und Herz, wie Mosca einer war, zusammenleben müssen. Die Hohlheit Baldis, der sie ihren Gedanken
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