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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Serenissimus, zwei Graf Mosca. Zwei blitzschnell gegebene und hinterher zwei langsame sollten »Flucht« heißen. Man kam überein, fortan das altmodische Alphabet alla Monaca anzuwenden, das, unverständlich für Uneingeweihte, nicht die gewöhnliche Reihenfolge der Buchstaben hat, sondern sie willkürlich ändert. A trägt zum Beispiel die Nummer 10, B die Nummer 3. So bedeutet ein dreimaliges Aufleuchten hintereinander B, ein zehnmaliges A, und so weiter. Ein Augenblick Dunkelheit gibt das Wortende an. Man verabredete sich für den anderen Tag auf ein Uhr nachts.
    An diesem Abend kam die Duchezza selbst auf den Turm, der eine Viertelstunde vor der Stadt lag. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Zeichen sah, die Fabrizzio gab, der so viele Male Totgewähnte. Sie meldete ihm eigenhändig:
    ICH LIEBE DICH. GUTEN MUT, GESUNDHEIT, GLÜCKLICHE HOFFNUNG! ÜBE DEINE KRÄFTE IN DER ZELLE, DU WIRST DIE KRAFT DEINER ARME NÖTIG HABEN.
    »Ich habe ihn seit dem Konzert von Fausta nicht gesehen,« sagte sich die Duchezza, »wo er als Jäger verkleidet an der Tür meines Salons erschien. Wer hätte mir damals das Schicksal vorausgesagt, das unser harrte!«
    Die Duchezza ließ an Fabrizzio melden, daß er bald befreit werden würde:
    DURCH DIE GNADE DES FÜRSTEN.
    Diese letzten fünf Wörter sollten von jedem verstanden werden. Dann sagte sie ihm von neuem Zärtlichkeiten.Sie vermochte sich von ihm nicht loszureißen. Nur die Vorstellungen Ludovicos, der, weil er Fabrizzio nützlich gewesen, ihre rechte Hand geworden war, bestimmten sie kurz vor Tagesanbruch endlich zum Einstellen der Lichtzeichen, die einem Übelwollenden hätten auffallen können.
    Die mehrfach wiederholte Botschaft von seiner nahen Befreiung versetzte Fabrizzio in tiefe Trauer. Clelia merkte das am Tage darauf und beging die Unbesonnenheit, ihn nach der Ursache zu fragen.
    »Ich bin im Begriff, der Duchezza Grund zu großer Unzufriedenheit mit mir zu geben.«
    »Was könnte sie von Ihnen verlangen, das Sie ihr verweigern?« entgegnete Clelia, von der regsten Neugier ergriffen.
    »Sie will, ich soll von hier fliehen,« gab er ihr zur Antwort, »aber ich bin damit nun und nimmer einverstanden.«
    Clelia vermochte nicht zu antworten; sie sah ihn an und brach in Tränen aus. Wenn er unmittelbar mit ihr hätte sprechen können, so hätte er das Geständnis eines Gefühls errungen, dessen Ungewißheit ihn so oft tief entmutigt hatte. Lebhaft verspürte er, daß das Leben ohne Clelias Liebe für ihn nichts wäre als ewiges bitteres Leid oder unerträgliche Langeweile. Es dünkte ihn, daß es sich nicht lohne, zu leben, um nichts als das Glück wiederzufinden, das ihn ehedem gelockt hatte, als er die Liebe noch nicht kannte; und wenn auch der Selbstmord in Italien noch nicht Mode war, so dachte er doch daran wie an eine Zuflucht, sobald ihn das Schicksal von Clelia trennen sollte.
    Am nächsten Tag empfing er einen langen Brief von ihr:
    »Lieber Freund! Sie müssen die Wahrheit erfahren. Seit Sie hier sind, hat man in Parma schon oft geglaubt, Ihr letztes Stündlein sei gekommen. Allerdings sind Sie nur zu zwölf Jahren Festung verurteilt, aber unglücklicherweisebesteht kein Zweifel, daß der Haß eines Allmächtigen Ihnen unaufhörlich nachstellt. Zwanzigmal habe ich gezittert, Gift könne Ihrem Dasein ein Ende setzen. Ergreifen Sie also jede Möglichkeit, von hier zu fliehen. Sie sehen, daß ich Ihretwegen gegen die heiligsten Pflichten verstoße. Ermessen Sie die Größe der Gefahr an dem, was ich mir zu sagen erdreiste und was Sie aus meinem Munde nicht vernehmen dürften. Wenn es unbedingt sein muß, wenn es kein anderes Mittel zur Rettung gibt, so fliehen Sie! Jeder Augenblick, den Sie hier in der Zitadelle verbringen, kann Ihr Leben aufs höchste gefährden. Bedenken Sie, daß es am Hofe eine Partei gibt, die vor keinem Verbrechen zurückschreckt, um ihre Pläne durchzusetzen. Und wissen Sie nicht, daß alle Pläne dieser Partei nur immer durch die überlegene Geschicklichkeit des Grafen Mosca vereitelt worden sind? Nun hat man ein unfehlbares Mittel gefunden, ihn aus Parma zu vertreiben. Das ist die Verzweiflung der Duchezza. Und kann man diese Verzweiflung sicherer herbeiführen als durch den Tod eines gewissen jungen Gefangenen? Allein dieses Wort, auf das es keinen Einwand gibt, muß Ihnen Ihre Lage klar machen. Sie sagen, Sie fühlten Freundschaft zu mir. Bedenken Sie zunächst, daß unüberwindliche Hindernisse dem entgegenstehen, daß

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