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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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hatte das unsichere Gefühl, es gäbe zwischen ihnen keinen einzigen Berührungspunkt, und so fürchtete er dauernd einen verzweifelten Schritt ihrerseits. Sie konnte sich ins Kloster flüchten, und er war dagegen wehrlos. Obendrein hatte der General Angst, daß diese Musik, deren Klänge bis in die tiefsten Zellen drangen, wo die schwärzesten Liberalen saßen, den Zweck habe, Nachrichten an Gefangene zu übermitteln. Die Musiker ärgerten ihn schon an und für sich. Darum schloß man sie auch sofort nach Beendigungder Serenaden in die Säle im Erdgeschoß der Kommandantur ein, die tagsüber der Verwaltung als Amtsräume dienten, und öffnete ihnen erst am anderen Morgen bei hell-lichtem Tage das Tor. Der Kommandant stand dann persönlich auf der Sklavenbrücke, ließ die Musiker in seiner Gegenwart durchsuchen und gab sie nicht eher frei, als bis er ihnen mehrmals wiederholt hatte, daß jeder von ihnen vom Fleck weg verhaftet würde, der es wage, den geringsten Auftrag für irgendeinen Gefangenen zu übernehmen. Und man wußte, daß er bei seiner Angst vor der Ungnade ganz der Mann war, sein Wort zu halten. Deshalb mußte der Marchese Crescenzi seine Musiker, die sich über das nächtliche Festhalten in der Zitadelle arg aufregten, dreifach bezahlen.
    Das einzige, was die Duchezza bei der Ängstlichkeit dieser Leute mit vieler Mühe erreichte, war, daß einer von ihnen einen Brief annahm, den er dem Kommandanten absichtlich ausliefern sollte. Dieser Brief war an Fabrizzio gerichtet. Sie beklagte sich darin über das Mißgeschick, daß keiner ihrer Freunde in den fünf Monaten seiner Haft den geringsten Nachrichtenaustausch mit ihm zustande gebracht habe. Beim Eintritt in die Zitadelle fiel der erkaufte Musikus vor dem General Fabio Conti in die Kniee und gestand ihm, ein ihm unbekannter Priester habe ihm derartig zugesetzt, einen an Herrn del Dongo gerichteten Brief zu besorgen, daß er nicht gewagt habe, es abzuschlagen; er beeile sich aber, seiner Pflicht gemäß den Brief Seiner Exzellenz auszuliefern.
    Die Exzellenz fühlte sich sehr geschmeichelt. Der General kannte die Hilfsmittel, die der Duchezza zu Gebote standen, und hatte große Angst, hinters Licht geführt zu werden. In seiner Freude überreichte er den Brief dem Fürsten. Der war entzückt.
    »So rächt mich die Vorzüglichkeit meiner Verwaltung!« rief Serenissimus. Seit fünf Monaten leidet dieses hochmütige Weib! Dieser Tage wollen wir wieder das Schafott aufschlagen lassen; selbstverständlich wird ihre tollePhantasie denken, es sei für den kleinen del Dongo bestimmt.«

Zwanzigstes Kapitel
    Einmal nachts gegen ein Uhr steckte Fabrizzio, der unter dem Fenster schlief, seinen Kopf durch das Guckloch im Fensterschirm und betrachtete die Sterne und den unermeßlichen Horizont. Seine Blicke schweiften über die Ebene nach der Po-Niederung und nach Ferrara hin; da gewahrte er durch Zufall ein äußerst kleines, aber sehr helles Licht, das anscheinend auf der Zinne eines Turmes leuchtete. »Dieses Licht kann man von der Ebene aus nicht wahrnehmen«, dachte Fabrizzio. »Bei der Dicke des Turmes ist das unmöglich. Es muß ein Lichtzeichen nach einem hochgelegenen Punkte sein.«
    Mit einem Male sah er, daß dieses Licht in sehr kurzen Unterbrechungen verschwand und wieder aufleuchtete. »Da unterhält sich irgendein junges Mädel mit ihrem Geliebten im benachbarten Städtchen.« Er zählte ein neunmaliges Aufleuchten hintereinander. »Das bedeutet I«, sagte er sich. »Natürlich! I ist der neunte Buchstabe im Alphabet.« Nach einer Pause erfolgte ein dreizehnmaliges Aufleuchten. »Das ist ein N!« Dann nach einer Pause ein einmaliges Erscheinen. »Das ist ein A! Das Wort heißt: INA.«
    Wie groß war seine Freude und seine Überraschung, als die einander folgenden und immer durch Pausen getrennten Lichtzeichen die Worte ergaben:
    INA PENSA A TE.
    »Offenbar heißt das: Gina pensa a te! (Gina denkt an dich)«
    Er gab unverzüglich durch Vorhalten und Wegnehmen seiner Lampe vor dem ausgesägten Guckloch zur Antwort:
    FABRIZZIO LIEBT DICH.
    Diese Verständigung währte, bis es tagte. Es war die einhundertdreiundsiebzigste Nacht von Fabrizzios Gefangenschaft. Er erfuhr, daß man diese Lichtzeichen Nacht für Nacht seit vier Monaten gegeben hatte. Aber jedermann konnte sie sehen und verstehen. Folglich begann man bereits in dieser ersten Nacht Abkürzungen zu vereinbaren. Drei sehr schnell aufeinanderfolgende Lichtzeichen sollten die Duchezza bedeuten, vier

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