Die Kartause von Parma
stadtbekannte Geliebte gehabt und alle miteinander betrogen hat! Du siehst einen jungen Streber nicht wieder, der, wenn er seine Strafe überlebt, in einen geistlichen Orden eintritt!« Sie sagte sich: »Es wäre ein Verbrechen, wenn ich ihn außerhalb der Zitadelle je wieder ansähe! Und sein angeborener Wankelmut wird mir ja diese Versuchung auch ersparen. Was bin ich ihm denn? Ein Mittel, sich täglich ein paar Stunden in seinem Kerker etwas weniger zu langweilen.« Mitten in all diesen Schmähungen kam Clelia jenes Lächeln wieder in den Sinn, mit dem Fabrizzio die Gendarmen angesehen hatte, als er aus der Gefängniskanzlei herauskam, um die Torre Farnese hinaufzusteigen. Die Tränen traten ihr in die Augen: »Lieber Freund, was würde ich nicht für dich tun! Du wirst mich zugrunde richten. Ich weiß es; das ist mein Schicksal. Ich richte mich selbst zugrunde, auf abscheuliche Weise, indem ich heute abend dieser schrecklichen Serenade beiwohne. Aber morgen mittag werde ich deine Augen wiedersehen!«
Gerade einen Tag, nachdem Clelia dem jungen Gefangenen, den sie so leidenschaftlich liebte, ein so großes Opfer gebracht, da sie ihm ihr Leben geopfert hatte, sie, die alle seine Fehler kannte, war Fabrizzio über ihre Kälte verzweifelt. Hätte er der Seele Clelias die geringste Gewalt angetan, nur mit seiner unvollkommenen Zeichensprache, so hätte sie wahrscheinlich ihre Tränen nicht zurückzuhalten vermocht, und Fabrizzio hätte ihr dasGeständnis alles dessen abgerungen, was sie für ihn fühlte. Aber es fehlte ihm an Kühnheit; er hatte eine allzu große Angst, Clelia zu verletzen, und sie konnte ihn allzu streng strafen. Mit anderen Worten, er hatte keinerlei Erfahrung, in welche Wallung einen eine Frau versetzt, die man liebt. Das war ein Gefühl, das er niemals erfahren hatte, auch nicht in seiner schwächsten Abstufung. Er brauchte acht Tage dazu, sich nach dem Tage der Serenade mit Clelia wieder in das gewohnte gute Freundschaftsverhältnis zu setzen. Das arme Mädchen stellte sich heiter, aus Todesangst, sich zu verraten, und es kam Fabrizzio vor, als stünde er sich von Tag zu Tag schlechter mit ihr.
Fabrizzio war nun ungefähr drei Monate im Gefängnis, ohne die geringste Verbindung mit der Außenwelt und doch ohne sich unglücklich zu fühlen. Da blieb Grillo eines Vormittags recht lange in seiner Zelle. Fabrizzio wußte nicht, wie er ihn los werden sollte; er war in Verzweiflung. Es hatte bereits halb ein Uhr geschlagen, als er die beiden fußhohen Klappen, die er in dem unseligen Fensterschirm angebracht hatte, endlich öffnen konnte.
Clelia lehnte am Fenster ihrer Vogelstube, die Augen nach Fabrizzios Fenster gerichtet; ihre verzerrten Züge drückten die heftigste Niedergeschlagenheit aus. Kaum sah sie Fabrizzio, als sie ihm das Zeichen machte, alles sei verloren. Sie eilte an ihr Klavier und tat so, als sänge sie ein Rezitativ aus einer damaligen Modeoper. Dabei sagte sie in Absätzen, weil ihr Schmerz und ihre Angst, die unter den Fenstern auf und ab gehenden Posten könnten sie verstehen, sie immer wieder lähmten, zu ihm: »Großer Gott! Sind Sie noch am Leben? Wie dankbar bin ich dem Himmel dafür! Barbone, der Gefängnisaufseher, den Sie am Tage Ihrer Ankunft wegen seiner Unverschämtheit gezüchtigt haben, war verschwunden. Er war nicht mehr in der Zitadelle. Gestern abend ist er zurückgekommen, und seitdem habe ich Anlaß, zu befürchten,daß er Sie zu vergiften sucht. Er treibt sein Wesen in der Küche, in der Ihr Essen gekocht wird. Ich weiß nichts Bestimmtes, aber mein Kammermädchen glaubt, dieser fürchterliche Mensch käme in die Küchen der Kommandantur einzig und allein, um Ihnen an das Leben zu gehen. Ich bin vor Unruhe beinahe gestorben, als Sie gar nicht zum Vorschein kamen; ich glaubte, Sie seien tot. Enthalten Sie sich jeder Nahrung bis auf weitere Nachricht! Ich will alles aufbieten, um Ihnen etwas Schokolade zuzustecken. Falls Sie durch die Gnade des Himmels einen Faden besitzen oder aus Ihrer Wäsche ein Band machen können, so lassen Sie das auf jeden Fall heute abend um neun Uhr von Ihrem Fenster nach den Orangenbäumen hinunter. Ich werde einen Strick daranknüpfen, den Sie zu sich hinaufziehen müssen. Dann werde ich Brot und Schokolade daranbinden.«
Fabrizzio hatte das Stück Kohle, das er im Ofen seiner Zelle gefunden, wie einen Schatz aufbewahrt. Jetzt beeilte er sich, aus Clelias Erregung Nutzen zu ziehen, und schrieb auf seine Hand nacheinander eine Reihe
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