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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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studieren!‹
    Fabrizzio gehorchte schleunigst und gab das geforderte Zeichen. Es wurde durch die angekündigten Buchstaben beantwortet. Dann fuhr er fort, den Brief zu lesen.
    ›Es ist wohl klar, was unter dem Schlimmsten zu verstehen ist; das haben mir die drei Menschen erklärt, in die ich das größte Vertrauen setze, nachdem ich sie habe auf das Evangelium schwören lassen, mir die volle Wahrheit zu sagen. Der erste von den dreien hat dem verräterischen Arzt von Ferrara gedroht, er wolle mit dem Messer in der Hand auf ihn fallen; der zweite war der, der Dir nach Deiner Rückkehr von Belgirate gesagt hat, es wäre weit klüger gewesen, den Reitknecht niederzuknallen, der singend durch die Wälder ritt und ein schönes, etwas mageres Handpferd führte. Den dritten kennst Du nicht; es ist ein Straßenräuber, einer meiner Freunde, ein Mann der Tat wie kein zweiter und so mutig wie Du. Gerade darum habe ich ihn gefragt, was Du tun müßtest. Alle drei haben mir gesagt, ohne daß sie sich untereinander beraten konnten, es sei besser, Du setztest Dich der Gefahr aus, das Genick zu brechen, als noch elf Jahre und vier Monate ununterbrochen auszuharren, immer in der Furcht vor einem höchstwahrscheinlichen Vergiftungsversuch.
    Du mußt Dich einen Monat lang im Seilklettern üben. Dann sollst Du an einem Tag, an dem die Besatzung der Zitadelle ein Weingelage feiert, das große Unternehmen wagen. Du wirst drei Seile aus Seide und Hanf zugestellt bekommen, dünn wie eine Schwanenfeder: eines, vierundachtzig Fuß lang, um die fünfunddreißig Fuß vom Fenster bis zu den Orangenbäumen hinabzugelangen, ein zweites, dreihundert Fuß lang, um die hundertundachtzig Fuß hohe Mauer des dicken Turmes hinunterzuklettern (dabei hat es mit dem Gewicht seine Schwierigkeit), und ein drittes, dreißig Fuß lang, um den Wall hinunterzukommen. Ich verbringe meine Zeit damit, die hohe Mauer im Osten, also in der Richtung nach Ferrara, zu studieren. Ein Riß von einem Erdbeben ist durch einenStrebepfeiler ausgebessert worden, der eine schiefe Ebene bildet. Mein Straßenräuber versichert mir, an dieser Stelle könne man ohne allzu große Schwierigkeit hinabklettern; man werde sich höchstens die Haut etwas abschürfen, wenn man auf der durch den Strebepfeiler gebildeten schiefen Ebene hinunterrutscht. Die senkrechte Entfernung beträgt bis ganz hinunter nur achtundzwanzig Fuß. Diese Seite ist am wenigsten bewacht.
    Mein Straßenräuber, der dreimal aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und den Du gern haben wirst, wenn Du ihn kennen lernst, obgleich er Leute Deines Standes verabscheut, – also mein Straßenräuber, gewandt und behend wie Du, meint, er würde am liebsten an der Westseite hinabklettern, genau gegenüber von dem kleinen, Dir wohlbekannten Palazzo, den ehedem Fausta bewohnt hat. Für diese Seite bestimmt ihn besonders der Umstand, daß die Mauer, obwohl nahezu senkrecht, doch fast allenthalben von Gestrüpp bewachsen ist. Es gibt da Strauchwerk, kaum höher als der kleine Finger, an dem man sich tüchtig aufschürfen kann, wenn man nicht aufpaßt, das einem aber auch einen vorzüglichen Halt gewährt. Noch heute morgen habe ich mir diese westliche Seite mit einem ausgezeichneten Fernglase betrachtet. Die Stelle, wo man hinab muß, ist durch einen neuen Stein kenntlich, den man vor zwei, drei Jahren oben in die Brustwehr eingefügt hat. Senkrecht unter diesem hellen Stein kommt zunächst ein unbewachsenes Stück von etwa zwanzig Fuß; dort muß man sich sehr langsam hinunterlassen. (Du wirst fühlen, wie mein Herz pocht, während ich Dir diese schreckliche Unterweisung gebe; aber der Mut sagt mir immer wieder, man müsse das kleinere Übel wählen, so fürchterlich es immerhin ist.) Nach diesem unbewachsenen Stück wirst Du achtzig bis neunzig Fuß lang mächtiges Gestrüpp vorfinden. Man sieht dort Vögel fliegen. Dann kommt ein dreißig Fuß hohes Stück, das kein Strauchwerk hat, aber Mauerblumen und Mauerkräuter. Dann gibt es, dem Boden näher, wieder zwanzigFuß lang Gestrüpp und schließlich fünfundzwanzig bis dreißig Fuß lang eine neu mit Putz beworfene Fläche.
    Für diese Seite spricht, daß senkrecht unter dem hellen Stein oben in der Brüstung eine Holzhütte steht, die ein Soldat in seinem Gärtchen erbaut hat. Der Pionierhauptmann, der der Zitadelle zugeteilt ist, will den Mann zwingen, sie wegzureißen; sie ist siebzehn Fuß hoch; ihr Strohdach stößt an die große Mauer der Zitadelle. Gerade dieses Dach

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