Die Kartause von Parma
ihrer leichten Last reißen. Aber beten Sie zu Gott, er möge mir vergeben! Ich hintergehe meinen Vater, und ich entartetes Kind arbeite darauf hin, ihm einen tödlichen Kummer zu bereiten. Bitten Sie Gott für mich, und wenn Ihr Leben gerettet ist, geloben Sie ihm, seinem Ruhm Ihr ganzes Dasein zu weihen!
Folgenden Einfall habe ich gehabt: In acht Tagen werde ich die Zitadelle verlassen, um an der Hochzeit einer Schwester des Marchese Crescenzi teilzunehmen. Ich werde abends, wie es üblich ist, zurückkommen, werde aber alles aufbieten, um recht spät heimzukehren. Barbone wird nicht wagen, mich allzusehr zu belauern. Auf dieser Hochzeitsfeier erscheinen die höchsten Damen der Hofgesellschaft und zweifellos auch die Duchezza di Sanseverina. Bringen Sie es um Gottes willen zuwege, daß mir eine der Damen einen Packen geringeren Umfanges mit festen, nicht allzu starken Seilen zusteckt. Und sollte ich mich tausendfachem Tode aussetzen, ich will auch die gefahrvollsten Mittel anwenden, um diesen Packen Seile in die Zitadelle einzuschmuggeln, ach, unter Verletzung aller meiner Pflichten! Erführe mein Vater davon, so dürfte ich Sie nie wiedersehen. Aber was für ein Schicksal mir auch bestimmt sein mag, ich werde in den Grenzen einer schwesterlichen Freundschaft glücklich sein, wenn ich zu Ihrer Rettung beitragen kann.«
Am selben Abend benachrichtigte Fabrizzio die Duchezza durch die nächtlichen Lichtzeichen von der einzigen Gelegenheit, eine genügende Menge Seile in die Zitadelle einzuschmuggeln. Er bat sie jedoch, das Geheimnis selbst vor dem Grafen Mosca zu hüten, was ihr wunderlich dünkte. »Er ist verrückt!« sagte die Duchezza. »Das Gefängnis hat ihn umgewandelt; er nimmt die Dinge tragisch.«
Am anderen Tage überbrachte eine Bleikugel, die der Ballspieler warf, dem Gefangenen die Warnung vor allergrößterGefahr. Die Person, die das Einschmuggeln der Seile übernommen habe, berichtete man ihm, rette ihm tatsächlich und buchstäblich das Leben. Fabrizzio teilte diese Neuigkeit eiligst Clelia mit.
Die nämliche Bleikugel brachte ihm auch eine genaue Zeichnung der westlichen Mauer, wo er von der Höhe des dicken Turmes hinabklettern sollte. Er müsse gerade im Zwischenraum zweier Basteien hinunter. Von da aus sei es ziemlich leicht, zu entkommen, da der Wall nur dreiundzwanzig Fuß hoch und ungenügend bewacht sei. Auf der Rückseite des Planes stand in winziger Handschrift ein herrliches Sonett: Eine hochherzige Seele forderte Fabrizzio zur Flucht auf, damit seine Seele nicht verkümmere und sein Leib nicht verkomme; er habe noch elf Jahre Kerker zu erdulden.
Hier wird eine Einschaltung nötig zur Erklärung des mutigen Rates der Duchezza zu so gefährlicher Flucht.
Wie alle Parteien, die nicht auf dem Gipfel der Macht sind, war die der Raversi unter sich nicht ganz einig. Der Cavaliere Riscara haßte den Großfiskal Rassi; er beschuldigte ihn, er hätte ihn einen bedeutenden Prozeß verlieren lassen, in dem Riscara allerdings unrecht hatte. Durch Riscara erhielt Serenissimus eine anonyme Mitteilung, daß dem Kommandanten der Zitadelle eine amtliche Ausfertigung des Urteils über Fabrizzio zugegangen sei. Die Marchesa Raversi, das tätige Oberhaupt der Partei, war über diese falsche Handlung äußerst aufgebracht und setzte ihren Freund, den Großfiskal, sofort davon in Kenntnis. Der hielt es für das Gegebene, sich etwas auf den Minister Mosca zu stützen, solange Mosca noch am Ruder war. Unerschrocken wagte sich Rassi ins Schloß, indem er wohl dachte, mit ein paar Fußtritten wegzukommen; Serenissimus konnte eines so durchtriebenen Rechtsbeistandes doch nicht entbehren, und Rassi hatte einen Richter und einen Anwalt, die einzigen Juristen im Lande, die seinen Platz hätten ausfüllen können, als Liberale verbannen lassen.
Serenissimus war außer sich, überhäufte ihn mit Beleidigungen und ging auf ihn los, um ihn zu prügeln.
»Gewiß, es liegt ein Mißgriff des Sekretärs vor«, antwortete Rassi kaltblütig. »Die Sache ist gesetzlich in Ordnung; die Zustellung hätte am Tage nach der Einlieferung des Herrn del Dongo in die Zitadelle geschehen müssen. Der übereifrige Sekretär hat geglaubt, er habe eine Vergeßlichkeit begangen, und hat mir das Begleitschreiben zur Unterschrift vorgelegt, als handle es sich um irgendwelche Nebensache...«
»Und du bildest dir ein, ich glaubte solche elende Flausen?« brüllte Serenissimus wütend. »Gesteh lieber, daß du dich an diesen Schelm, den
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