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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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vorlesen.«
    Nach Beendigung des Vorlesens trat der Richter an Fabrizzio heran und zeigte ihm im Briefe seiner Mutter die Stellen, die man ihm soeben aus der Abschrift vorgelesen hatte. Fabrizzio sah die Worte: ›ungerechte Gefangenhaltung, grausame Bestrafung eines Vergehens, das keines ist‹. Er begriff, daß darin der Grund zum Besuche der Richter lag. Im übrigen sagte er in seiner Verachtung der unredlichen Beamten nur genau folgende Worte: »Ich bin krank, meine Herren, ich sterbe vor Mattigkeit, und Sie werden entschuldigen, daß ich nicht aufstehe.«
    Als die Richter weg waren, weinte Fabrizzio noch lange, bis er sich sagte: ›Bin ich ein Heuchler? Ich dachte, ich hätte ihn gar nicht geliebt.‹
    An diesem Tage sowie an den folgenden war Clelia sehrtraurig. Sie rief ihn mehrere Male, hatte aber kaum den Mut, ihm einige Worte zu sagen. Am fünften Vormittag nach ihrer ersten Zusammenkunft teilte sie ihm mit, daß sie abends in die Marmorkapelle käme.
    »Ich kann Ihnen nur wenige Worte widmen«, sagte sie ihm beim Kommen. Sie zitterte so, daß sie sich auf ihre Kammerzofe stützen mußte. Nachdem sie diese an den Eingang der Kapelle zurückgeschickt hatte, fuhr sie mit kaum verständlicher Stimme fort: »Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie der Duchezza gehorchen und den Fluchtversuch an dem Tage machen, den sie Ihnen befehlen, und in der Weise, die sie Ihnen vorschreiben wird, sonst gehe ich morgen in ein Kloster und schwöre Ihnen, daß ich nie wieder im Leben ein Wort mit Ihnen spreche!«
    Fabrizzio blieb stumm.
    »Versprechen Sie mir das!« sagte Clelia, Tränen in den Augen und ganz außer sich. »Sonst haben wir hier das letzte Mal miteinander gesprochen. Sie haben mir das Leben zur Qual gemacht. Sie bleiben meinetwegen hier, und jeder Tag kann der letzte Ihres Lebens sein.«
    In diesem Augenblick war Clelia so schwach, daß sie sich auf den großen Lehnstuhl stützen mußte, der mitten in der Kapelle stand und ehedem von dem fürstlichen Gefangenen benutzt worden war. Sie war nahe daran, umzufallen.
    »Was muß ich versprechen?« fragte Fabrizzio mit beklommener Stimme.
    »Sie wissen es.«
    »So schwöre ich, daß ich mich wissentlich in ein gräßliches Unglück stürzen und mich dazu verdammen will, fern dem zu leben, was ich in der Welt liebe!«
    »Geloben Sie Genaueres!«
    »Ich schwöre, der Duchezza zu gehorchen und an dem Tage zu entfliehen, da sie es will, und so, wie sie es wollen wird! Was soll aber aus mir werden, wenn ich erst fern von Ihnen bin ?«
    »Schwören Sie, sich zu retten, was auch geschehen möge!«
    »Wie, sind Sie entschlossen, den Marchese Crescenzi zu heiraten, wenn ich nicht mehr hier sein werde?«
    »Mein Gott, was trauen Sie meiner Seele zu? Aber schwören Sie, sonst hätte ich nicht eine Minute den Seelenfrieden!«
    »Wenn es sein muß! Ich schwöre, mich von hier zu retten an dem Tage, an dem es die Duchezza di Sanseverina anordnen wird, was inzwischen auch geschehen möge!«
    Als Clelia diesen Schwur erzwungen hatte, fühlte sie sich dermaßen schwach, daß sie weggehen mußte, nachdem sie Fabrizzio gedankt hatte.
    »Es war alles vorbereitet; ich wollte morgen früh fliehen,« sagte sie zu ihm, »wenn Sie in Ihrer Halsstarrigkeit verblieben wären. Dann hätte ich Sie in diesem Augenblick zum letzten Male in meinem Leben gesehen. Das hatte ich der Madonna gelobt. Sobald ich mein Zimmer wieder verlassen kann, will ich nun die schreckliche Mauer unterhalb des neuen Steines in der Brüstung besichtigen.«
    Am anderen Tage fand er Clelia so bleich, daß sie ihm Sorge bereitete. Sie teilte ihm vom Vogelstubenfenster aus mit: »Machen wir uns nichts vor, mein lieber Freund! Da unsere Freundschaft sündhaft ist, so widerfährt uns zweifellos Unglück. Sie können bei Ihrem Fluchtversuch entdeckt werden; dann sind Sie für ewig verloren. Dennoch muß man der menschlichen Klugheit Gehör geben; sie gebietet uns, alles zu versuchen. Sie brauchen zum Hinabklettern an der Außenseite des breiten Turmes ein haltbares Seil von mehr als zweihundert Fuß Länge. Soviel Mühe ich mir gegeben habe, seit ich von dem Plane der Duchezza weiß, so habe ich doch nur so viel Seile besorgen können, daß Sie im ganzen etwa nur fünfzig Fuß lang sind. Nach einem Tagesbefehl der Kommandantur sind alle Seile, die man in der Zitadelle vorgefunden hat, verbrannt worden, und alle Abende werden die Ziehtaueder Brunnen abgeliefert; diese sind außerdem so schwach, daß sie oft beim Heraufziehen

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