Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
das Herz gehabt, die Zitadelle zu verlassen. Ich bin ein unglückliches Geschöpf. Ich habe mich an einen leichtherzigen Menschen gekettet. Ach, ich weiß ja, wie er sich in Neapel aufgeführt hat! Welche Berechtigung hätte ich, zu glauben, daß sich sein Charakter gewandelt habe? Eingesperrt, in strengem Gewahrsam, hat er dem einzigen weiblichen Wesen, das er zu sehen bekam, den Hof gemacht. Das war ihm eine Zerstreuung in seiner Langenweile. Da er mit ihr nur unter gewissen Schwierigkeiten sprechen konnte, hat dieser Zeitvertreib den falschen Anschein einer Leidenschaft angenommen. Der Gefangene, der sich durch seinen Mut in der Welt einen Namen gemacht hat, wähnt den Beweis zu geben, seine Liebe sei mehr als eine flüchtige Alltagsneigung, indem er sich recht großen Gefahren aussetzt, um dasangeblich geliebte Wesen weiterhin sehen zu können. Aber sobald er in einer Großstadt sein wird, inmitten neuer gesellschaftlicher Vergnügungen, wird er von neuem das sein, was er gewesen ist, ein Weltmann, der Zerstreuungen und Liebesabenteuern nachjagt, und seine arme Kerkergenossin wird ihre Tage in einem Kloster beschließen, vergessen von einem leichtsinnigen Mann und voll tödlicher Reue, ihm ein Geständnis gemacht zu haben.«
    Diese lange Rede, von der wir nur die Hauptpunkte wiedergeben, ward, wie man sich wohl denken kann, von Fabrizzio zwanzigmal unterbrochen. Er war bis über die Ohren verliebt und dazu durch und durch überzeugt, daß er nie geliebt hatte, bevor er Clelia gesehen, und daß es der Sinn seines Daseins sei, fortan nur für sie zu leben.
    Der Leser kann sich ohne Zweifel all die schönen Dinge vorstellen, die er sagte, bis die Kammerzofe ihre Herrin darauf aufmerksam machte, daß es soeben halb zwölf geschlagen habe und daß der General jeden Augenblick heimkehren könne. Die Trennung war bitter.
    »Ich sehe Sie vielleicht zum letzten Male«, sagte Clelia zu dem Gefangenen. »Eine Maßregel, die offenbar im Sinne der Ränke der Raversi liegt, kann Sie unerbittlich zu dem Beweis zwingen, daß Sie nicht wankelmütig sind.«
    Clelia verließ Fabrizzio, unter Schluchzen schier erstickend und halbtot vor Scham, daß sie ihren Zustand weder vor ihrer Kammerzofe noch vor dem Gefängnisaufseher Grillo ganz verbergen konnte. Eine zweite Zusammenkunft war nur möglich, falls der General wieder einmal vorher sagte, daß er abends gesellschaftliche Pflichten habe. Seit Fabrizzios Einlieferung und bei dem Anteil, den die höfische Neugier an ihm nahm, schützte er schlauerweise chronische Gicht vor, und wenn ihn die diplomatische Klugheit zum Ausgehen in der Stadt zwang, so entschied er sich oft erst im Augenblick, da er den Wagen bestieg.
    Seit dem Abend in der schwarzen Marmorkapelle war Fabrizzios Leben eine Kette von Wonnen. Allerdings standen seinem Glück sichtlich noch große Hindernisse im Wege, aber schließlich erfüllte die höchste und kaum erhoffte Freude darüber, daß er von einem himmlischen Wesen geliebt wurde, all seine Gedanken.
    Am dritten Tage nach dem Stelldichein hörten die Lichtzeichen zeitig auf, etwa gegen Mitternacht. Im Augenblick, als sie zu Ende waren, wäre Fabrizzio beinahe der Schädel zertrümmert worden; eine große Bleikugel, die in den Trichter des Fensterschirmes geworfen wurde, flog durch die Papierscheiben in seine Zelle. Diese große Kugel war aber nicht so schwer, wie sie ihrem Umfang nach sein mußte. Ohne Mühe gelang es Fabrizzio, sie zu öffnen. Er fand einen Brief der Duchezza. Durch Vermittlung des Erzbischofs, den sie geflissentlich umschmeichelt hatte, war ein in die Zitadelle befohlener Soldat bestochen worden. Dieser Mann, ein geschickter Ballspieler, täuschte die Posten an den Ecken und am Tor der Kommandantur oder setzte sich mit ihnen ins Einvernehmen.
    Der Brief lautete:
    ›Du mußt Dich mit Seilen retten. Ich zittre, indem ich Dir diese sonderbare Anweisung gebe. Seit mehr als zwei vollen Monaten zögere ich, Dir das zu sagen, aber die Aussichten für Dich werden von Tag zu Tag trüber. Man muß auf das Schlimmste gefaßt sein. Beginne übrigens Deine Lampenzeichen sofort wieder, um uns den Empfang dieses gefährlichen Briefes zu bestätigen. Gib die Zeichen P, B und G alla Monaca, also 4, 12 und 2! Ich werde nicht eher aufatmen, als bis ich diese Zeichen erblicke. Ich befinde mich auf dem Turm. Man wird Dir mit N und O, also mit 7 und 5, antworten. Nach Empfang dieser Antwort gib kein weiteres Zeichen. Beschäftige Dich nur damit, meinen Brief zu

Weitere Kostenlose Bücher