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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Grillo auf alle Fragen Fabrizzios. Allerdings hatte er sich gelobt, vorsichtig zu sein und Clelia keineswegs zu verraten, die, obwohl sie seiner Meinung nach demnächst den Marchese Crescenzi, den reichsten Mann im Lande Parma, heiratete, nichtsdestoweniger, soweit es die Kerkermauern gestatteten, eine Liebelei mit dem liebenswürdigen Monsignore del Dongo hatte. Er gab auf dessen letzte Frage wegen der Serenade nun Bescheid und beging die Dummheit, hinzuzufügen: »Es heißt, er wird sie bald heiraten.«
    Man kann sich die Wirkung dieser harmlosen Worte auf Fabrizzio vorstellen. Nachts antwortete er auf die Lichtzeichen nur mit der Meldung, er sei krank. Am anderen Morgen, als Clelia gegen zehn Uhr in der Vogelstube erschien, fragte er sie im Ton feierlicher Höflichkeit, der zwischen ihnen ganz ungewöhnlich war, warum sie ihm nicht einfach gesagt habe, daß sie den Marchese Crescenzi liebe und ihn demnächst heiraten werde.
    »Nichts von alledem ist wahr!« entgegnete Clelia verwirrt. Der Rest ihrer Antwort war freilich weniger klar. Fabrizzio machte sie darauf aufmerksam und benutzte die Gelegenheit, seine Bitte um ein Stelldichein zu erneuern. Clelia erkannte, daß ihre Ehrlichkeit bezweifelt wurde, und bewilligte es ihm fast sofort, nicht ohne ihndarauf hinzuweisen, daß sie sich damit in Grillos Augen auf ewige Zeiten entwürdige.
    Abends, als es völlig dunkel war, kam Clelia in Begleitung ihrer Kammerzofe in die Kapelle aus schwarzem Marmor. In der Mitte bei der Ewigen Lampe blieb sie stehen. Die Zofe und Grillo verharrten dreißig Schritt abseits, am Eingang. Clelia, die am ganzen Leibe bebte, hatte sich eine schöne Rede zurechtgelegt, in der Absicht, nichts einzugestehen, was sie bloßstellen könne. Aber die Logik der Leidenschaft ist unbesonnen; ihr heftiges Verlangen, die Wahrheit zu erfahren, läßt sie um so weniger die nötigen Rücksichten beachten, als gleichzeitig ihre innige Ergebenheit sie der Furcht überhebt, jene Rücksichten zu wenig zu wahren. Fabrizzio war zunächst von Clelias Schönheit geblendet; seit acht Monaten hatte er niemanden in der Nähe gesehen als die Aufseher. Aber die Erwähnung des Marchese Crescenzi entfachte seinen Zorn von neuem; dieser steigerte sich, als er gewahr wurde, daß Clelia nur mit Bedacht antwortete. Sie fühlte selbst, daß sie seine Eifersucht eher vermehrte als verscheuchte. Diese Erkenntnis war für sie äußerst schmerzlich.
    »Können Sie wohl glücklich darüber sein,« sagte sie zu ihm in einer Zorneswallung und mit Tränen in den Augen, »daß Sie mich dazu gebracht haben, alles zu vergessen, was ich mir selbst schuldig bin? Bis zum 3. August vergangenen Jahres habe ich gegen die Männer, die mir zu gefallen trachteten, nur Abneigung empfunden. Ich hatte eine maßlose und wahrscheinlich übertriebene Verachtung für Höflingsnaturen. Alles, was an unserem Hofe glänzte, mißfiel mir. Im Gegensatz dazu fand ich einzigartige Eigenschaften an einem Gefangenen, der am 3. August hier in der Zitadelle eingeliefert wurde. Zuerst erlitt ich, ohne es mir einzugestehen, alle Qualen der Eifersucht. Die Reize einer entzückenden Frau, die mir wohlbekannt ist, wirkten auf mein Herz wie Dolchstiche, weil ich glaubte, und ich glaube es immer noch ein wenig,daß ein gewisser Gefangener an ihr hängt. Bald verdoppelten sich die Zudringlichkeiten des Marchese Crescenzi, der um meine Hand angehalten hatte; er ist steinreich, und wir besitzen kein Vermögen. Ich wies ihn mit viel Freimut ab. Da sprach mein Vater das verhängnisvolle Wort ›Kloster‹. Ich war mir klar, daß ich mit dem Verlassen der Zitadelle nicht mehr über das Leben des Gefangenen wachen könnte, dessen Schicksal mir am Herzen lag. Das Meisterstück meiner Vorsichtsmaßregeln war, daß er bis dahin gar nicht ahnte, welche gräßlichen Gefahren sein Leben bedrohten. Ich hatte mir gelobt, weder meinen Vater noch mein Geheimnis zu verraten. Aber jene andere, die mit ihrer bewundernswerten Tatkraft, ihrem überlegenen Verstand, ihrem furchtbaren Willen den Gefangenen beschirmt, bot ihm vermutlich Mittel zur Flucht an. Er schlug sie aus und wollte mich überzeugen, daß er sie abweise, um sich nicht von mir zu trennen. Da beging ich einen großen Fehler; fünf Tage lang kämpfte ich mit mir. Ich hätte unverzüglich in ein Kloster fliehen und der Zitadelle den Rücken kehren müssen. Dieser Schritt wäre zugleich ein recht einfaches Mittel gewesen, mit dem Marchese Crescenzi zu brechen. Ich habe nicht

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